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Ein Gespräch mit Sabine Rupp und Thomas Münch vom Vringstreff:Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer: Wie „Freikaufen Köln“ das verhindern will

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Datum:
12. Mai 2023
Von:
Newsdesk/jpr
Ein Gespräch mit Sabine Rupp und Thomas Münch vom Vringstreff

„Du kommst aus dem Gefängnis frei“. Im Spiel Monopoly bedeutet diese Karte eine kleine Erleichterung im Spielverlauf, doch für manche Menschen im echten Leben könnte sie eine zweite Chance und einen Weg aus der Abwärtsspirale bedeuten. Thomas Münch und Sabine Rupp engagieren sich in der Wohnungslosenhilfe für den gemeinnützigen, ökumenischen Verein Vringstreff e.V. Mit seiner neuesten Initiative, "Freikaufen Köln", kauft der Vringstreff Menschen aus dem Gefängnis frei, die aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ihre Geldstrafen für Schwarzfahren nicht bezahlen können. Denn dieses Problem betrifft in Deutschland jährlich tausende Menschen und ist das Ergebnis einer umstrittenen Regelung, die nun reformiert werden soll.

Im Interview sprechen Thomas Münch und Sabine Rupp über ihre Arbeit, die Motivation hinter der Initiative und wie sie Menschen helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Erfahren Sie, wie "Freikaufen Köln" Menschen unterstützt, die Gefängnisstrafen wegen unbezahlter Geldstrafen fürs Schwarzfahren verhindern, und wie die Arbeit des Vringstreffs dazu beiträgt, das Leben dieser Menschen positiv zu beeinflussen.

In Deutschland können Menschen wegen sogenannter „Beförderungserschleichung“ im Gefängnis landen, wenn sie wiederholt ohne Ticket in der Bahn oder im Bus gefahren sind. Wen trifft diese Strafe und worin liegt das Problem dabei? 

Sabine Rupp: Wir vergessen oft, dass es Menschen gibt, die überlegen müssen: „Kaufe ich mir etwas zu essen oder kaufe ich mir eine Fahrkarte?“ Es geht also nicht um diejenigen, die per se schwarzfahren, sondern um diejenigen, die es sich gar nicht leisten können eine Fahrkarte zu kaufen. Und wenn man wiederholt ohne Ticket erwischt wird, geht es leider schnell, dass sich die Strafe aufsummiert. Es fehlt dann die Möglichkeit, dieses Geld zu bezahlen – ansonsten hätte man sich ja vorher auch eine Fahrkarte kaufen können. 
Aktuell ist es so, dass eine Geldstrafe im Fall von Beförderungserschleichung gegen eine Ersatzfreiheitsstrafe eingetauscht werden kann. Für Menschen, die nur ein sehr geringes oder gar kein Einkommen haben, ist der Preis, um sich freikaufen zu können, sehr hoch.

Thomas Münch: Wir sehen also das Problem, dass die „Ersatzfreiheitsstrafe“ ausschließlich arme Menschen betrifft. Im Unterschied dazu können sich reiche Menschen freikaufen. Wir halten die Ersatzfreiheitsstrafe für Schwarzfahren daher für unangemessen und asozial. Menschen fahren nicht schwarz aus Bösartigkeit, sondern aus Armut.

Thomas Münch und Sabine Rupp vom Vringstreff Köln.

Wie groß sind die Folgeprobleme eines Gefängnisaufenthalts und wie stellen Sie sich präventive Maßnahmen vor?

Rupp: Die kurze Zeit in Haft ist eine schwierige Situation, denn auf der einen Seite ist es für denjenigen, der einsitzt, eine lange Zeit, und auf der anderen Seite ist es nicht lang genug, um sich vorzubereiten auf die Zeit danach. Während einer kurzen Zeit im Gefängnis kann man zum Beispiel kein Geld verdienen. Und wenn man dann wieder ausgespuckt wird in die Welt, steht man vor der Frage: Wie geht's jetzt weiter? Und wenn man dann zum Beispiel die Miete nicht gezahlt hat, wartet ganz schnell eine Räumungsklage.

Münch: Jetzt stellen Sie sich vor, da sitzt jemand ein, und wir kaufen ihn frei. Der ist ja dann erstmal wohnungslos. Unsere Idealvorstellung wäre, dass dann einer vor der Gefängnistür wartet und sagt: „Ich bin vom Vringstreff, hier ist der Schlüssel für deine Wohnung. Du musst nur noch den Mietvertrag unterschreiben.“ Für diesen Zweck haben wir unser Housing-First-Programm, ein Programm mit dem wir obdachlosen Menschen ohne Vorbedingungen eine Wohnung ermöglichen – mit allen Rechten und Pflichten. Das ist dann der Ausgangspunkt für weitere Unterstützung, aus der sich wieder Perspektiven entwickeln können. So ist die Idealvorstellung: nicht aus dem Knast in die Obdachlosigkeit, sondern aus dem Knast in die Wohnung. Besser wäre, wir hätten dann noch einen Job dazu.

 

Kürzlich haben Sie erfolgreich eine Person vor ihrer Haftstrafe bewahrt und sie „freigekauft“. Wie kam das zustande und wie geht es weiter?

Münch: Die Frau, die wir kürzlich freigekauft haben, wäre 75 Tage in Haft gegangen. Die Info, dass wir „freikaufen“, haben wir unter die Wohnungsloseninitiativen in Köln gestreut. Und von der Initiative „Bauen, Wohnen, Arbeiten“ kam Rückmeldung: Wir haben jemanden, die müsste nächste Woche ins Gefängnis, weil 750 Euro wegen Schwarzfahrens anstehen. Also haben wir uns die Kontonummer geben lassen und überwiesen. Zu der Zeit lag der Haftbefehl bei der Polizei in Ehrenfeld schon vor. Wir haben so den Hafteinzug verhindert.

Rupp: In der JVA gibt es keinen Aushang, dass wir in diesen Fällen helfen. Wir sind also darauf angewiesen, dass das Thema anders weitergetragen wird, ob durch Freunde, Verwandte oder Menschen aus der Seelsorge. Zur Gefangenenseelsorge haben wir bereits Kontakt aufgenommen.

 

Die Politik verhandelt nun darüber, die Tagessätze bei der Ersatzfreiheitsstrafe zu halbieren. Auch die beiden großen Kirchen begrüßen eine Gesetzesänderung. Wie beurteilen Sie diesen Lösungsansatz?

Münch: Dazu haben wir eine deutliche Meinung: Die Beförderungserschleichung nach Paragraph 265a ist ein Gesetz aus der Nazizeit. Wir finden, das gehört endgültig abgeschafft. Es ist nicht Aufgabe des Staates, das Inkasso-Büro für die für den öffentlichen Nahverkehr zu sein. 

Da sollte man lieber jedem Sozialhilfeempfänger automatisch ein 9-Euro-Ticket geben, was jetzt leider 49 Euro kostet. Interessanterweise hatten wir in den drei Monaten, als es noch das 9-Euro-Ticket gab, kaum Menschen, die bei der KVB ohne Ticket gefahren sind. Aber weil die Politik sich da nicht bewegt, ist es gut, dass es Initiativen gibt wie unsere, die Geld sammeln und Betroffene freikaufen.

Rupp: Dem Ganzen liegt außerdem zugrunde, dass wir es hier mit einem Straftatbestand zu tun haben und nicht mit einer Ordnungswidrigkeit. Das bedeutet, dass zu schnelles Fahren weniger Strafe verursacht als Schwarzfahren. Ersteres ist eine Ordnungswidrigkeit, letzteres eine Straftat. Auch an diesem Punkt muss man ansetzen. Selbst wenn man über die Höhe der Strafe diskutieren würde, muss man erstmal da etwas verändern. 

Hinzu kommt, dass es für die Allgemeinheit kostengünstiger ist, jemanden vor dem Gefängnis zu bewahren. Jeder Tag im Gefängnis kostet den Staat 150 Euro aus öffentlichen Geldern.

 

Der Vringstreff ist schon lange eine bekannte Anlaufstelle für Wohnungslose. Wie erfahren Sie Unterstützung von öffentlichen und privaten Partnern? Wie können interessierte Personen oder Organisationen sich beteiligen oder helfen?

Münch: Das gesellschaftliche Engagement hier in Köln ist schon etwas Besonderes. Man kann zum Beispiel über den Karneval denken, was man will, aber es ist es für das Dreigestirn normal, dass sie hierherkommen. Sie verstehen das als Teil ihres Jobs. 

Außerdem sind wir ein ökumenisches Projekt, das ist uns ganz wichtig. Wir haben gute Beziehungen zu den evangelischen und katholischen Gemeinden rund um den Chlodwigsplatz. Für die Pfarrer und Pfarrerinnen in beiden Konfessionen ist es selbstverständlich, dass regelmäßig „geköttet“ wird. Bei einer Hochzeit zum Beispiel geht die Kollekte oft an den Vringstreff. Und wir haben auch viele Unternehmen, die sagen, wenn ihr ein Projekt macht, dann unterstützen wir das. 

Rupp: Trotzdem sind wir als gemeinnütziger Verein immer chronisch unterfinanziert und davon abhängig, dass Menschen unsere Arbeit unterstützen. Unser Mittagstisch, zum Beispiel, könnte ohne einen Zuschuss nicht funktionieren und ist für uns ein wichtiges, niedrigschwelliges Angebot. Für die zusätzlichen Angebote wie die digitale Lernwerkstatt, Kunstprojekte und auch die Initiative „Freikaufen“, haben wir keine Finanzierung. Das läuft alles über Spenden.

Aber wir machen immer wieder die schöne Erfahrung: Wir sind zwar ein kleiner Verein, aber letztendlich können wir mit der Unterstützung von Spenden doch einiges bewegen.

Sabine Rupp war zuerst ehrenamtlich im Vringstreff engagiert. Seit einem Projekt zur Digitalisierung arbeitet sie hauptamtlich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit für den Vringstreff. 

Thomas Münch ist emeritierter Professor der Sozialen Arbeit und engagiert sich ehrenamtlich für den Vringstreff. Er ist unter anderem Ansprechperson für die Initiative Freikaufen.

Der Vringstreff in der Kölner Südstadt

Über den Verein Vringstreff e.V.

Der Vringstreff e.V. ist eine Begegnungsstätte und eine Beratungsstelle für Menschen mit und ohne Wohnung in der Kölner Südstadt. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre hat sich der Vringstreff das Thema der Obdachlosenhilfe auf die Fahnen geschrieben: Viele Einrichtungen in der Kölner Südstadt beteiligten sich, um Menschen auf der Straße soziale Teilhabe zu ermöglichen und auch um der Obdachlosigkeit entgegen zu wirken.

Der Vringstreff ist von Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr geöffnet, es gibt Montag bis Donnerstag einen Mittagstisch mit niedrigen Preisen für Bedürftige jeweils zwei Essensangebote, eins davon vegetarisch. Freitagvormittags wird ein Frühstück angeboten. In eigenen Räumlichkeiten wurde eine regelmäßige Malgruppe etabliert, auf einem Besuchertisch steht ein frei nutzbarer Laptop mit Internetzugang, der allen Besuchern kostenlos zur Verfügung steht.

Die neue Initiative „Freikaufen Köln“ ist eines von vielen Projekten des Vringstreffs. Die Vermittlung der Fälle erfolgt über Partner aus dem sozial-caritativen Bereich. Dabei wird darauf geachtet, dass die angebotene Unterstützung Bedürftigen zugutekommt.

Spenden für den Vringstreff

Der Vringstreff ist als Beratungsstelle anerkannt und wird vom Landschaftsverband Rheinland und der Stadt Köln finanziert. Um die regelmäßigen Angebote oder besondere Projekte, wie die Digitalisierungswerkstatt und die Initiative Freikaufen aufrecht zu erhalten, ist der Vringstreff neben öffentlichen Förderungen auch auf Spenden angewiesen. Spenden kommen stets der Arbeit des gesamten Vereins zugute.

Wenn auch Sie spenden möchten, können Sie dies über die Erzbischöfliche Stiftung Köln tun.
Bitte vergessen Sie nicht Ihre Adresse anzugeben, wenn Sie eine Spendenbescheinigung erhalten möchten. 

Stichwort: Obdachlosenhilfe

Spendenkonto: Erzbischöfliche Stiftung Köln 

IBAN: DE 5337 0601 9300 3400 0093

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