Wie groß sind die Folgeprobleme eines Gefängnisaufenthalts und wie stellen Sie sich präventive Maßnahmen vor?
Rupp: Die kurze Zeit in Haft ist eine schwierige Situation, denn auf der einen Seite ist es für denjenigen, der einsitzt, eine lange Zeit, und auf der anderen Seite ist es nicht lang genug, um sich vorzubereiten auf die Zeit danach. Während einer kurzen Zeit im Gefängnis kann man zum Beispiel kein Geld verdienen. Und wenn man dann wieder ausgespuckt wird in die Welt, steht man vor der Frage: Wie geht's jetzt weiter? Und wenn man dann zum Beispiel die Miete nicht gezahlt hat, wartet ganz schnell eine Räumungsklage.
Münch: Jetzt stellen Sie sich vor, da sitzt jemand ein, und wir kaufen ihn frei. Der ist ja dann erstmal wohnungslos. Unsere Idealvorstellung wäre, dass dann einer vor der Gefängnistür wartet und sagt: „Ich bin vom Vringstreff, hier ist der Schlüssel für deine Wohnung. Du musst nur noch den Mietvertrag unterschreiben.“ Für diesen Zweck haben wir unser Housing-First-Programm, ein Programm mit dem wir obdachlosen Menschen ohne Vorbedingungen eine Wohnung ermöglichen – mit allen Rechten und Pflichten. Das ist dann der Ausgangspunkt für weitere Unterstützung, aus der sich wieder Perspektiven entwickeln können. So ist die Idealvorstellung: nicht aus dem Knast in die Obdachlosigkeit, sondern aus dem Knast in die Wohnung. Besser wäre, wir hätten dann noch einen Job dazu.
Kürzlich haben Sie erfolgreich eine Person vor ihrer Haftstrafe bewahrt und sie „freigekauft“. Wie kam das zustande und wie geht es weiter?
Münch: Die Frau, die wir kürzlich freigekauft haben, wäre 75 Tage in Haft gegangen. Die Info, dass wir „freikaufen“, haben wir unter die Wohnungsloseninitiativen in Köln gestreut. Und von der Initiative „Bauen, Wohnen, Arbeiten“ kam Rückmeldung: Wir haben jemanden, die müsste nächste Woche ins Gefängnis, weil 750 Euro wegen Schwarzfahrens anstehen. Also haben wir uns die Kontonummer geben lassen und überwiesen. Zu der Zeit lag der Haftbefehl bei der Polizei in Ehrenfeld schon vor. Wir haben so den Hafteinzug verhindert.
Rupp: In der JVA gibt es keinen Aushang, dass wir in diesen Fällen helfen. Wir sind also darauf angewiesen, dass das Thema anders weitergetragen wird, ob durch Freunde, Verwandte oder Menschen aus der Seelsorge. Zur Gefangenenseelsorge haben wir bereits Kontakt aufgenommen.
Die Politik verhandelt nun darüber, die Tagessätze bei der Ersatzfreiheitsstrafe zu halbieren. Auch die beiden großen Kirchen begrüßen eine Gesetzesänderung. Wie beurteilen Sie diesen Lösungsansatz?
Münch: Dazu haben wir eine deutliche Meinung: Die Beförderungserschleichung nach Paragraph 265a ist ein Gesetz aus der Nazizeit. Wir finden, das gehört endgültig abgeschafft. Es ist nicht Aufgabe des Staates, das Inkasso-Büro für die für den öffentlichen Nahverkehr zu sein.
Da sollte man lieber jedem Sozialhilfeempfänger automatisch ein 9-Euro-Ticket geben, was jetzt leider 49 Euro kostet. Interessanterweise hatten wir in den drei Monaten, als es noch das 9-Euro-Ticket gab, kaum Menschen, die bei der KVB ohne Ticket gefahren sind. Aber weil die Politik sich da nicht bewegt, ist es gut, dass es Initiativen gibt wie unsere, die Geld sammeln und Betroffene freikaufen.
Rupp: Dem Ganzen liegt außerdem zugrunde, dass wir es hier mit einem Straftatbestand zu tun haben und nicht mit einer Ordnungswidrigkeit. Das bedeutet, dass zu schnelles Fahren weniger Strafe verursacht als Schwarzfahren. Ersteres ist eine Ordnungswidrigkeit, letzteres eine Straftat. Auch an diesem Punkt muss man ansetzen. Selbst wenn man über die Höhe der Strafe diskutieren würde, muss man erstmal da etwas verändern.
Hinzu kommt, dass es für die Allgemeinheit kostengünstiger ist, jemanden vor dem Gefängnis zu bewahren. Jeder Tag im Gefängnis kostet den Staat 150 Euro aus öffentlichen Geldern.
Der Vringstreff ist schon lange eine bekannte Anlaufstelle für Wohnungslose. Wie erfahren Sie Unterstützung von öffentlichen und privaten Partnern? Wie können interessierte Personen oder Organisationen sich beteiligen oder helfen?
Münch: Das gesellschaftliche Engagement hier in Köln ist schon etwas Besonderes. Man kann zum Beispiel über den Karneval denken, was man will, aber es ist es für das Dreigestirn normal, dass sie hierherkommen. Sie verstehen das als Teil ihres Jobs.
Außerdem sind wir ein ökumenisches Projekt, das ist uns ganz wichtig. Wir haben gute Beziehungen zu den evangelischen und katholischen Gemeinden rund um den Chlodwigsplatz. Für die Pfarrer und Pfarrerinnen in beiden Konfessionen ist es selbstverständlich, dass regelmäßig „geköttet“ wird. Bei einer Hochzeit zum Beispiel geht die Kollekte oft an den Vringstreff. Und wir haben auch viele Unternehmen, die sagen, wenn ihr ein Projekt macht, dann unterstützen wir das.
Rupp: Trotzdem sind wir als gemeinnütziger Verein immer chronisch unterfinanziert und davon abhängig, dass Menschen unsere Arbeit unterstützen. Unser Mittagstisch, zum Beispiel, könnte ohne einen Zuschuss nicht funktionieren und ist für uns ein wichtiges, niedrigschwelliges Angebot. Für die zusätzlichen Angebote wie die digitale Lernwerkstatt, Kunstprojekte und auch die Initiative „Freikaufen“, haben wir keine Finanzierung. Das läuft alles über Spenden.
Aber wir machen immer wieder die schöne Erfahrung: Wir sind zwar ein kleiner Verein, aber letztendlich können wir mit der Unterstützung von Spenden doch einiges bewegen.