„Er predigt immer wieder darüber, dass Gott bei jedem Menschen ist und es gut mit den Menschen meint. Das gilt für Dich, liebe Lea, für Dich, liebe Ruth, und auch für mich.“ Ihr Onkel macht eine Pause und zeigt auf jede der anwesenden Personen. Dann fährt er fort.
„Man sollte meinen, dass jemand, der nur das Gute im Sinn hat, beliebt ist und alle Menschen Jesus wertschätzen, aber leider ist das nicht der Fall. Wer weiß, wie das noch endet...“ Tobias seufzt und Ruth bietet ihm Wasser an. Onkel Tobias nimmt das Wasser dankbar entgegen und fährt fort.
„Wisst ihr, wer gerade in Israel die Macht hat, und das Land regiert?“ Beide nicken.
„Klar, wissen wir das: die Römer!“, antwortet Lea. „Die sind nicht gerade beliebt, weil sie Steuern erheben und eigene Gesetze festgelegt haben. Zu Hause ärgern sich Mama und Papa oft darüber. Draußen ist es aber nicht ratsam, Kritik an den Römern zu üben. Das haben wir schon gelernt.“
Ruth stimmt ihrer Schwester zu. „In Rom herrscht der Kaiser und weil der nicht überall sein kann, hat er einen Stellvertreter in Israel eingesetzt, der uns das Leben schwermacht.“
Jetzt seufzen beide Schwestern. So richtig gut kennen sie sich als Kinder noch nicht mit Politik aus. Aber sie haben ein feines Gespür dafür, was die Erwachsenen beschäftigt. Sie versuchen, ein wenig zu verstehen, was das alles bedeutet – selbst, wenn das manchmal ein bisschen kompliziert ist.
Tobias schaut die beiden erfreut an und lächelt. „Dann wisst ihr sicher, was die Menschen in Israel sich anstelle der Römer für eine Regierung wünschen?“
„Einen König!“, rufen Lea und Ruth wie aus einem Mund.
Das wissen die beiden aus dem Gottesdienst. Dort hat es der Prediger erklärt. In den Heiligen Schriften steht, dass Gott einen Messias schicken wird. Es gibt nur einen einzigen Messias, den Gott den Menschen als Retter schickt.
Das ist ein einmaliges Ereignis. Da dieser Retter aus dem Königsgeschlecht Davids stammt, hoffen die Menschen in Israel, dass dieser Messias als König die Herrschaft der Römer beendet.
Die Predigt über den Messias neulich war lang. Lea und Ruth finden lange Predigten manchmal ziemlich langweilig, aber an dem Tag ging es gerade noch mit der Langeweile. Deshalb erinnern sie sich, dass die Ankündigung, Gott habe einen Retter geschickt, ein Problem mit sich bringt.
Viele Männer in Israel laufen als Wanderprediger durch die Gegend und möchten die Menschen davon überzeugen, dass sie der einmalige Messias sind, der in den Heiligen Schriften erwähnt wird. Das finden Lea und Ruth etwas verwirrend. Sie haben noch nicht so ganz genau verstanden, wer denn der einmalige einzige Messias sein soll und woran man ihn erkennt.
Onkel Tobias erklärt es ihnen. „Die Menschen in Israel wünschen sich einen König. Sie sind sich allerdings nicht einig, wie dieser Messias regieren wird. Die einen denken, der neue König möchte, dass die Menschen mit Waffen gegen die Römer kämpfen und sie aus dem Land vertreiben. Das möchten die Römer um jeden Preis verhindern.
Die anderen denken, der neue König möchte, dass wir ohne Sünde leben und unser Leben nach Gottes Geboten führen. Wenn wir das tun, leben wir in Liebe und Freiheit. Und die Römer verlassen unser Land ohne Kampf. So predigen es die Hohepriester und lehnen deshalb einen bewaffneten Kampf gegen die Römer ab. Die Hohepriester glauben nicht, dass ein Kampf dem Willen Gottes entspricht.“
Aufmerksam hören Lea und Ruth ihrem Onkel zu. Ruth brennt eine Frage unter den Nägeln und sie ist schon ganz unruhig, bis sie endlich ihre Frage stellen kann. „Gibt es unter den Wanderpredigern jemanden, den Du für den Messias hältst?“
Insgeheim kann sich Ruth schon denken, dass die Antwort „Jesus“ lautet, aber trotzdem möchte sie es von Onkel Tobias selbst hören. „Und woran erkennen wir den Messias?“, ergänzt Lea.
„Ich glaube, dass Gott will, dass wir ohne Sünde und in Liebe mit unseren Freunden und mit unseren Feinden zusammenleben sollen“, antwortet ihr Onkel. „Das ist im Alltag nicht immer einfach, weil manche Menschen ganz schön nervig sind und die Römer uns schwere Lasten aufbürden. Trotzdem erscheint mir Liebe als der einzige Weg zu Frieden und Gerechtigkeit. Deshalb glaube ich…“
Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment kommt der Nachbarsjunge Daniel aufgeregt angelaufen. „Schnell, schnell, kommt mit!“, ruft er vor Begeisterung. „Was ist passiert?“, fragt Tobias. Aber Daniel hält sich nicht mit einer Erklärung auf und rennt weiter. Aus Neugier laufen Tobias, Lea und Ruth ihm nach.
Die Straßen sind sehr staubig und voller Menschen, weil das Pessachfest unmittelbar bevorsteht. Viele Menschen möchten das Fest in Jerusalem feiern. Und neben den Bewohnern kommen auch viele Menschen von außerhalb in die Stadt. Sie kommen extra in die Stadt Jerusalem, um dort das Pessachfest zu feiern. Dazu gehören auch Jesus und seine Freunde.
Während Jesus auf einem Esel in die Stadt reitet, laufen seine Freunde zu Fuß. In den Heiligen Schriften steht, dass der Messias auf einem Esel nach Jerusalem reitet. Das ist ein äußeres Erkennungszeichen, dass es wirklich der Messias ist.
Ruth erinnert sich, was Onkel Tobias ihr mal erklärt hat: „Normalerweise reiten wichtige Menschen auf Pferden, denn Pferde sind größer als Esel. Damit erscheint der Reiter noch wichtiger. Ein Esel wird meist eher für Lasten und Gepäck benutzt. Nur einfache Leute reiten auf Eseln. Auch Leute, die gar nicht wichtig sind aber wichtig aussehen wollen, reiten lieber auf Pferden. Der echte Messias hat das aber nicht nötig."
Jesus predigt Nächstenliebe und Feindesliebe sowie die Nähe Gottes. Darum denken sich einige Menschen schon, dass Jesus wohl der Messias ist. Jetzt kommt das äußere Zeichen hinzu und die Menschen, die Jesus auf dem Esel bemerken, sind außer sich vor Freude. Sie sind live dabei, als der Messias in Jerusalem einzieht! Voller Freude begrüßen sie ihn mit Palmenzweigen und legen Kleidungsstücke auf die Straße. So erweisen sie Jesus eine besondere Ehre.
Inzwischen sind auch Ruth, Lea, Onkel Tobias und Daniel an der Straße angekommen, auf der Jesus nach Jerusalem einzieht. Spontan nimmt Onkel Tobias seinen Umhang ab und legt ihn Jesus zu Füßen.
Ein bisschen ratlos und verlegen schauen sich Ruth, Lea und Daniel an und tuscheln miteinander. Bei dem heißen Wetter haben sie nur die nötigsten Kleidungsstücke an. Sie haben nichts, was sie auf die Straße legen können. Schließlich können sie dem Messias ja nicht nackt die Ehre erweisen.
Die Frau neben ihnen bemerkt das und schenkt jedem der Dreien einen Palmenzweig. Außerdem holt sie die Kinder nach vorne in die erste Reihe, damit sie besser sehen können. Begeistert schwenken Lea, Ruth und Daniel ihre Zweige und freuen sich, dass sie so hautnah dabei sind.
Von der Begeisterung und Freude der umstehenden Menschen lassen sie sich anstecken. Mit ihrer Freude zeigen die Menschen, dass sie Jesus für den versprochenen und einmaligen Messias halten.
Schnell ist alles wieder vorbei. Jesus ist an ihnen vorbeigeritten. Immer noch ganz begeistert fragt Ruth ihre Schwester: „Meinst du, wir sehen Jesus nochmal wieder?" Lea ist sich sicher: „Ganz bestimmt!"
Eine Erzählung von Judith Göd in Anlehnung an das Markusevangelium (Mk 11,1-10).