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Künstliche Intelligenz: Chancen und Risiken aus christlicher Sicht

Symbolbild: Künstliche Intelligenz
Datum:
14. Apr. 2023
Interview mit dem Theologen und Sozialethiker Prof. Dr. Dr. Elmar Nass

Künstliche Intelligenz (KI) gilt schon jetzt als bahnbrechende Technologie. Sie verspricht grenzenlose Optimierung und Zuverlässigkeit. Doch ist KI zu moralischen Entscheidungen fähig? Und kann sie auch für christ­liche Glaubens­er­fahrungen ein­gesetzt werden? Bei aller Euphorie über ChatGPT und Co. sieht der Kölner Theologe Professor Elmar Nass jedoch klare Grenzen.

Selbstfahrende Autos, Bild-Generatoren oder Text-Roboter – Künstliche Intelligenz wird in unserer Gesell­schaft immer relevanter. Wie schätzen Sie das Poten­zial von KI ein?

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass: Der Ein­fluss von KI auf unser Leben kann kaum über­schätzt werden. KI folgt Algo­rithmen, also mathe­matischen Formeln. Werden sie mit Problem­stellungen kon­fron­tiert, so sortieren sie die in sie einge­speisten Informa­tionen und kommen zu einem kalku­lierten Out­put. Rechen­opera­tionen ermög­lichen es, das einmal Ein­pro­grammierte auf neue Kon­texte anzu­wenden und dafür Lösungen vor­zugeben. Das er­scheint uns wie ein selbstän­diger Lern­vorgang. Es können auch mensch­liche Ge­fühle und Moral simu­liert, vermeint­lich mensch­liches Leben auch nach dem Hirn­tod schier unendlich ver­längert und Tote in Holo­grammen schein­bar wieder leben­dig gemacht werden. KI optimiert, ent­scheidet, wirkt mensch­lich und gaukelt uns jen­seits öster­lichen Glaubens vor, den Tod zu be­siegen. Sie stellt ärzt­liche Diag­nosen, prägt Meinungs­bildung, schafft effi­ziente Arbeits­pro­zesse, über­nimmt die mili­tärische Ziel­be­stimmung von Waffen, zeigt humano­ide Ge­fühle in Robotern, ent­wirft Predigt­texte, sprach­liche Über­setzungen oder ganze Doktor­arbeiten.

Ich sehe hier eine neue Kultur am Hori­zont: Mensch­liches Ent­scheiden, Denken und Verhalten werden um­fassend domi­niert durch die vermeint­liche Ein­deutig­keit von Algo­rithmen: in Technik und Wirt­schaft, Sprache und Kunst, Wissen­schaft und Politik, Theo­logie und Religion, Ethik und Moral.

15.04.2021   Köln..Einsegung der neuen Räume der KHKT (Kölner Hochschule für Katholische Theologie).Köln-Lindenthal durch Erzbischof Rainer Maria Kardinal Wölki..(c) Foto: Christian Knieps...Pressefotos...Für zur Berichterstattung belieferte Medien gilt: Keine Weitergabe an Dritte...Die Lieferung von Bildmaterial der von Ihnen bei mir in Auftrag gegebenen Fotoproduktion beruht auf meinen Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) die. auf der Internetseite www.christianknieps.de einzusehen sind..Der Fotograf (Christian Knieps) übernimmt keinerlei Haftung für die eventuelle Verletzung von Persönlichkeitsrechten...

Welche Risiken verbergen sich hinter der Nutzung von KI?

Nass: Wenn der Arzt oder Politiker den Vor­gaben der KI blind vertraut, wird er ein Sklave sich selbst steuern­der Kal­küle. Der von KI behan­delte Patient wird reduziert auf eine kom­plexe Ansamm­lung von Daten. Doch der Mensch ist mehr als das. Die von auto­nomen Waffen ange­griffenen Menschen im Krieg werden zum Spiel­ball von kalten Rechen­opera­tionen. Reales und vir­tuelles Leben und auch Töten ver­schwimmen. Was bleibt noch von der Menschen­würde, wenn Roboter Rechte und Pflichten haben oder etwa heiraten? Auch die Kreativi­tät in Kunst, Wissen­schaft, Journa­lismus und Bildung gehen verloren. Algo­rithmen produ­zieren Uni­formität, wenn auch in wechseln­dem Licht. Ihnen fehlen ehr­liche Empathie sowie die Krea­tivität zum wirk­lich Neuen.

Wie groß ist die Gefahr, dass KI gesell­schaft­liche Moral­vor­stellungen nach­haltig verändert?

Nass: KI-Logik versteht die Welt, den Menschen, das Zusammen­leben und auch Gott oder Religion als Resul­tate von mathema­tischen Daten und Variablen. „Künst­liche Moral“ wird schon pro­grammiert. Sie ist aber nicht mehr als ein Rechen­spiel, in dem es weder echte Gefühle wie Scham, Schuld, Mit­leid, Empa­thie oder Liebe gibt, erst recht keine echten Werte und kein Mysterium. Schein­bar wissen­schafts­basierte Evidenz ersetzt das krea­tive demo­kratische Streiten ebenso wie einen freien Journa­lismus. Debatte und Moral werden auf Rechen­prozesse redu­ziert, an deren Ende ein Richtig oder Falsch steht. Die Plurali­tät von Moral­vor­stellungen, Meinungen und Religionen wird obsolet, weil uns eine evidente und somit schein­bar beste Vor­stellung von Sinn, Leben und Gerechtig­keit vor­ge­gaukelt wird. Das öffnet Tor und Tür für des­potische Unter­drückung.

"Die letzte Ent­scheidung muss stets beim Menschen liegen. Denn es braucht immer noch den ganz­heit­lichen Blick über das kalte Kal­kül hinaus."

 

KI wird in vielen Bereichen, unter anderem in der Medizin, als großer Hoffnungs­träger ange­sehen. Kann KI unsere Lebens­qualität nach­haltig verbessern?

Nass: Ich sehe hier viele positive Aspekte. KI-basierte Hilfen können den Er­folg bei Opera­tionen erhöhen. Assistive Systeme in der Pflege können die Sicher­heit für alte und demen­tiell er­krankte Men­schen erhöhen. Digitale Patienten­akten in Kranken­häusern und KI-basierte Diagnose­hilfen für Ärzte sparen Zeit und helfen, Fehler zu ver­meiden. Über­setzungs­programme sind eine Hilfe zum interna­tionalen Wissens­austausch. Algo­rithmen können In­effizienz in Produk­tions­pro­zessen reduzieren. KI-basierte Daten­erhebungen er­möglichen neue statis­tische Be­rech­nungen und exaktere öko­nomische Prognosen.

Wichtig dabei bleibt immer, dass am Ende KI nur ein Instru­ment bleibt, dessen Ergeb­nisse von Men­schen bewertet und einge­setzt werden. Die letzte Ent­scheidung muss stets beim Menschen liegen. Denn es braucht immer noch den ganz­heit­lichen Blick über das kalte Kal­kül hinaus. Das gebieten Frei­heit, Verant­wortung, ehr­liche Moral und Würde. Unsere Sprache muss leben­dig bleiben und des­halb von Men­schen kreiert werden. Ist sie von KI normiert, wird mensch­liche Individu­alität abge­schafft und unsere Kultur versklavt. Auch Medizin und Wirt­schaft laufen in die Irre, wenn sie sich willen­los einem solchen KI-Imperialismus fügen.

"Wird ehr­liche mensch­liche Begeg­nung er­setzt durch pro­grammierte Stereo­type einer vor­ge­täuschten Empathie oder Liebe, so schafft das eine Kultur der Lüge."

 

Im April 2023 hat der Theologe Rainer Bay­reuther in einem Inter­view mit der KNA sich mehr Offen­heit im Umgang mit KI ge­wünscht. In diesem Zusammen­hang liege es auf der Hand, sich von Text-Robotern etwa Predig­ten oder Vorlagen für seel­sorge­rische Gespräche zu schreiben. Kann KI Geist­liche in ihren seel­sorgerischen Tätig­keiten unterstützen?

Nass: Sicher ist nichts dagegen einzu­wenden, wenn Seel­sorger solche KI-basierten An­regungen zurate ziehen. Skep­ltisch werde ich da, wo kritik­los so gene­rierte Vor­lagen über­nommen werden. Wird ehr­liche mensch­liche Begeg­nung er­setzt durch pro­grammierte Stereo­type einer vor­ge­täuschten Empathie oder Liebe, so schafft das eine Kultur der Lüge. Wo ist da noch Raum für per­sön­liche Glaubens­erfahrung­en oder die persön­liche Nähe und Note in Be­ziehung, Zeug­nis und Bekennt­nis? Innere Freude an und leiden­schaft­liche Verant­wortung für das Leben und für unsere Schöpfung weichen einer kalten Berech­nung. Gott und seine Botschaft werden absor­biert durch berech­nete Flos­keln. Die Seele wird nicht mehr ange­sprochen. Das wäre das Ende von Seelsorge.

Ich teile ausdrück­lich nicht eine KI-Euphorie, mit der Gott, Mensch und Tech­nik als drei ähn­liche Wesen inein­ander ver­schwimmen. Eine solche speku­lative „Trinität“ ordnet letzt­lich Gott und Mensch den Algo­rithmen unter. Nicht sollen sich unsere Vor­stellungen von Gott und Menschen­würde den neuen tech­nischen Errungen­schaften an­passen, um modern zu bleiben. Es muss genau anders herum sein: Als Christen müssen wir viel­mehr fragen, wie sich neue Techno­logien mit dem Schöpfungs­plan Gottes, der Bot­schaft Jesu und der Gottes­eben­bild­lichkeit des Menschen und seiner Verant­wortung vor Gott in der Schöpfung verein­baren lassen. Ein Gottes- und Menschen­bild, das die Anschluss­fähig­keit an Algo­rithmen sucht, hat mit christ­lichem Glauben nichts zu tun.

Experten aus der KI-Branche fordern eine sechs­monatige Pause bei der Ent­wicklung von KI. In einem offenen Brief der gemein­nützigen Organisa­tion Future of Life heißt es, die Zeit solle genutzt werden, um ein Regel­werk für diese Techno­logie zu schaffen. Was halten Sie davon?

Nass: So wünschens­wert eine solche Pause sein mag, so uto­pisch ist sie auch. Das ist ein zahn­loser Tiger. Es wird immer wen geben, der sich nicht daran hält, um dann an­schließend einen Entwick­lungs­vor­sprung zu haben und daraus Profit zu schlagen. Auch suggeriert eine solche For­derung, es gebe ein kon­kurrierendes Gegen­über von gefähr­licher tech­nischer Ent­wicklung und heil­samer ethischer bzw. recht­licher Reflexion, die diese bremsen solle. Ethik erschiene wie der Brems­klotz tech­nischer Inno­vation. Das aber ist falsch. Ethik und tech­nische Inno­vation müssen Hand in Hand gehen.

"Es braucht dringend die Ein­beziehung ethischer Bildung an den inter­natio­nalen Universi­täten, auch und gerade in den tech­nischen, so genannten MINT-Fächern.

 

Wie kann ein verant­wortungs­voller Umgang mit KI gewähr­leistet werden?

Nass: Wir brauchen jetzt eine starke Technik­ethik und Forscher mit einem ent­sprechen­den Ethos. Das erfordert inter­nationale Tugend­schulung über Würde, Verant­wortung und Frei­heit. Es braucht dringend die Ein­beziehung ethischer Bildung an den inter­natio­nalen Universi­täten, auch und gerade in den tech­nischen, so genannten MINT-Fächern. Und wir brauchen inter­nationale Regeln, die eine KI-basierte Ab­schaffung von Würde und Demo­kratie ver­hindern. Das ist keines­wegs trivial. Denn hier­bei müssen einer­seits kultu­relle Unter­schiede berück­sichtigt werden, wie etwa ani­mistische Vor­stellungen in Japan, mit denen tech­nischen Arte­fakten auch eine Seele zuge­sprochen wird. Anderer­seits müssen Regime wie China, die eine KI-gestützte Gleich­schaltung der Menschen voran­treiben, mit an den Tisch.

Seit der Enzyklika „Pacem in Terris“ von Papst Johannes XXIII., die am 11. April 2023 ihren 60. Geburts­tag feiert, fordert die Sozial­lehre der Kirche immer wieder eine inter­nationale Welt­autorität mit starker Sanktions­gewalt. Nur damit haben global mora­lische und recht­liche Standards eine Chance. Wer dagegen ver­stößt, der müsste scharf sanktio­niert und geächtet werden. Papst Franzis­kus fordert deshalb zurecht immer wieder eine solche Autori­tät und zu­gleich einen neuen Geist mensch­lichen Mit­einanders, mit dem Welt, Wirt­schaft und Tech­nik beseelt wird.

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass

Zur Person Elmar Nass

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass ist katholischer Theologe und Sozialethiker. Von 2013 bis 2020 war er Professor für Wirtschafts- und Sozialethik an der privaten Wilhelm Löhe Hochschule für angewandte Wissenschaften in Fürth.

Seit 2021 ist er Prorektor und Lehrstuhlinhaber für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlicher Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Wirtschaftsethik sowie Digitalisierung und Technikethik.

Übersicht: AusZeit – Online-Magazin des Erzbistums Köln

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