Liebe Schwestern, liebe Brüder!
„Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Lösungen!“ Eine Binsenweisheit? Sie steht am Anfang dieses Wortes, weil wir jetzt auch im eigenen Alltag immer deutlicher von der Corona-Krise betroffen sind.
Das gilt auch für das kirchliche Leben – sogar in dessen Kernbereich, bei der Feier des Gottesdienstes. Wer hätte gedacht, dass es jemals so weit kommt, dass wir alle öffentlichen Gottesdienste einstellen müssen! Und nun sehen wir uns dazu gezwungen – nicht nur wegen der staatlichen Anordnung, sondern vor allem aus Nächstenliebe! Denn wir können nicht die Nähe Gottes in unserer Liturgie suchen und gleichzeitig durch die Nähe zu unseren Mitmenschen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.
Daher verzichten wir im Augenblick schweren Herzens auf öffentliche Gottesdienste. Keiner von uns findet das gut, aber nur sehr wenige Uneinsichtige akzeptieren das nicht. Es ist ein ganz besonderes Fasten, das uns hier zugemutet ist. Aber dieses Fasten kann uns doch zugleich zu einem vertieften Nachdenken über die Vollzugsformen unseres Glaubens anregen.
Es ist ja nicht so, als würden wir mit dem Beten generell aufhören, nur weil wir derzeit nicht öffentlich gemeinsam beten können. Vieles ist ja auch jetzt möglich
und sinnvoll. Allabendlich laden auch jetzt die Glocken unserer Kirchen ein, sich der bistumsweiten Gebetsgemeinschaft einzufügen. Auch das ist so noch nicht dagewesen.
Mich erreichen aber auch viele Fragen zu den Gottesdienstübertragungen über Fernsehen, Rundfunk und Internet. Wer einen live gefeierten Gottesdienst über die Medien mitverfolgt, kann das, was dort konkret vor Ort gefeiert wird, auch innerlich mitvollziehen. Auf diese Weise kann man der Intention nach an diesem Gottesdienst teilnehmen. Man ist anwesend, ohne in der örtlichen Feiergemeinde zu stehen. Und das ist keineswegs ein Konstrukt, das man sich angesichts der Corona-Krise ausgedacht hat, sondern ein seit Jahrzehnten bewährtes Mittel vor allem für Alte, Kranke und gebrechliche Menschen, die gar keine andere Gelegenheit der Mitfeier haben.
Im Augenblick der Kommunion bleiben die Mitfeiernden zuhause natürlich ausgeschlossen, weil sie nicht hinzutreten können. Aber das, was die Kommunion bewirken will – nämlich die innere Vereinigung mit Christus –, ist auch möglich, wenn sich die Gläubigen zuhause in diesem Augenblick ganz auf Christus ausrichten und sich im Gebet ihm ganz und gar zuwenden. Das nennt man dann traditionell eine geistliche Kommunion.
Bei den Gottesdienstübertragungen sind derzeit nur sehr wenige Feiernde zu sehen: ein Priester, ein Ministrant, ein Lektor und nur zwei, drei Mitfeiernde in den Bänken. Ist das noch eucharistische Tischgemeinschaft? Erinnern wir uns: Christus ist der eigentliche Akteur in der Liturgie; und er agiert in Gestalt seines mystischen Leibes, das ist die Kirche in Verbindung mit ihm – das sind die Gläubigen als die Glieder mit Christus als ihrem Haupt. Daher ist die Messe mit Gläubigen die Grundform.
Doch gibt es Ausnahmen, wenn „schwerwiegende Gründe“ vorliegen. Dann kann ein Geistlicher auch alleine zelebrieren. Und wer wollte bestreiten, dass im Augenblick nicht wirklich „schwerwiegende Gründe“ gegeben sind? Dennoch achten wir darauf, dass der Priester – wenn irgend möglich – nicht allein am Altar steht, sondern wenigstens ein paar Menschen zu dieser Feier zusammenkommen. Anders geht es im Augenblick nicht. Doch so setzen wir zeichenhaft um, was das Konzil über den Gottesdienst sagt: „Liturgischen Handlungen sind nicht privater Natur, sondern Feiern der Kirche.“
Wir alle wissen es und erleben es am eigenen Leib, wenn wir zuhause vor dem Bildschirm sitzen, anstatt in der Kirche mit unseren Schwestern und Brüdern: „schön ist anders“. Aber „schön“ muss im Augenblick hinter „vernünftig“ und „verantwortungsvoll“ zurückstehen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir müssen sicher das Beste aus dieser Situation machen, aber es ist und bleibt eine Ausnahmesituation. Sie macht uns gerade durch ihre Einzigartigkeit deutlich, welches einzigartige Geschenk uns in der eucharistischen Gemeinschaft geschenkt ist. Ich sehne mich danach, die Eucharistie wieder mit vielen gemeinsam zu feiern und zu erleben – gerade jetzt im Zugehen auf Ostern.
Als Ihr Erzbischof bin ich an Ihrer Seite und ich bin Ihnen verbunden. Außer-gewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Lösungen. Sind wir dankbar, dass wir deutlich mehr tun können, als nichts. Ich bete für Sie um Kraft, innere Gelassenheit, Geduld und Zuversicht. Bleiben Sie gesund! Achten Sie auf sich und auf alle, die Ihnen anvertraut sind. Gott segne und schütze Sie alle!
Ihr
Rainer Maria Kardinal Woelki
Erzbischof von Köln