Wie Governance und Compliance bei der Krisenbewältigung helfen können:Verborgenes Potenzial für die Zukunft der Kirche
"Über Geld spricht man nicht – die Kirche und ihre Finanzen". Tatsächlich wirbt das neue Special der Herder Korrespondenz mit seinem provokanten Titel aber genau für das Gegenteil. Drängende Fragen rund um die wirtschaftliche Situation der Kirche müssen jetzt auf den Tisch. Zu den Impulsgebern im Heft gehört Gordon Sobbeck, Finanzdirektor und Ökonom im Erzbistum Köln. Seine auf den ersten Blick überraschende These: Die aus der Wirtschaft stammenden Konzepte "Governance" und "Compliance" sind Lösungsansätze, die zur Überwindung der Kirchenkrise beitragen können.
Fünf Fragen an den Autor:
Herr Sobbeck, Vokabeln lernen ist anstrengend. Warum sollten wir uns die Begriffe "Governance" und "Compliance" trotzdem merken?
Gordon Sobbeck: Wir sind in der Kirche oft sehr gut darin, Probleme zu beschreiben: sinkende Mitgliederzahlen, hohe Skandaldichte, schwindende Ressourcen, fehlendes Vertrauen. Angesichts dieser düsteren Prognosen fehlt Vielen die Zuversicht, dass es wieder aufwärtsgehen kann. Da braucht es dringend innovative Lösungsansätze, und ich bin überzeugt davon, dass Governance und Compliance hier einen wichtigen Beitrag leisten können. Das Potenzial das darin steckt wird vollkommen unterschätzt.
Liegt das vielleicht daran, dass die beiden Konzepte ziemlich schwer zu erklären sind?
Sobbeck: Ich würde sagen, das kommt erstmal auf den Versuch an – und natürlich auf die Bereitschaft, sich damit zu beschäftigen. Eigentlich lassen sich die beiden Ideen relativ gut zusammenfassen: Compliance bedeutet, dass bestehende Regeln und Normen konsequent eingehalten werden.
Die Governance beschäftigt sich hingegen mit den in einer Organisation vorherrschenden Spielregeln an sich und der Haltung der Führungsetage zu diesen Spielregeln. Sie fragt zum Beispiel: Ermöglichen und begünstigen die vorherrschenden organisatorischen Rahmenbedingungen, Regelwerke und Standards der Organisationsführung eine gute Kultur der Compliance? Oder sind sie mitunter sogar hinderlich und müssen verändert werden?
Beide Konzepte legen den Fokus darauf, dass Organisationen grundsätzlich nach klaren und gut nachvollziehbaren Regelungen handeln sollten. Das ist essenziell, denn diese Klarheit und die damit verbundene Transparenz schaffen letztendlich Vertrauen.
Und worin liegt jetzt der Lösungsbeitrag?
Sobbeck: Viele der aktuellen Skandalthemen, die das Vertrauen in die Institution Kirche erschüttert haben, lassen sich letzten Endes auf die Missachtung und Verletzung von Regeln und Normen zurückführen, de facto also auf Compliance-Missstände. Leicht nachvollziehbar ist das vor allem bei wirtschaftlichen Belangen, also den bekannten Finanzskandalen. Diese Themen haben das öffentliche Bild von Kirche ja sehr geprägt.
Wenn die Kirche sich konsequent auf den Weg macht, durch Governance und Compliance regelbasiertes, verlässliches und transparentes Handeln in der gesamten Organisation zu fördern und zu fordern, wird sich dies positiv auf das Vertrauen auswirken, das die Menschen der Kirche entgegenbringen. Vertrauen ist die wichtigste Währung im Bereich der Kirche.
Sie haben die Bereitschaft angesprochen, sich mit diesen Lösungsansätzen zu beschäftigen. Wer muss diese Bereitschaft mitbringen?
Sobbeck: Es braucht den unbedingten Willen der obersten Führung einer Organisation, ansonsten ist jedes Projekt, das sich mit Fragen der Governance und des Compliance-Managements befasst, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Insofern bin ich froh, dass die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Juni 2021 die Handreichung "Kirchliche Corporate Governance" auf den Weg gebracht hat. Darin werden nicht nur erstmals Empfehlungen zum Thema zusammengefasst, sondern vor allem wird die verbindliche Umsetzung vor Ort klar empfohlen.
Das war und ist ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess. Gleichzeitig muss man im Hinterkopf behalten: Die Umsetzung von Governance und Compliance ist ein Marathon, kein Sprint. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir auf eine kontinuierliche Bewusstseinsbildung bei allen Menschen in der Organisation hinwirken.
Das Erzbistum Köln stand in den vergangenen Monaten und Jahren häufig im Fokus der Kritik. Gleichzeitig sagen Sie, dass Aufbrüche sichtbar sind. Woran machen Sie das fest?
Sobbeck: Wir haben im Erzbistum Köln viele kleinere und größere Maßnahmen auf den Weg gebracht, von denen ich überzeugt bin, dass sie in der Summe eine beachtliche Wirkung erzielen. Zu den großen Veränderungen gehört sicherlich die aktuell laufende Neuaufstellung des Generalvikariates sowie der internen Gremien. Erklärtes Ziel dieser Reorgansation ist es, darauf hinzuwirken, dass Verantwortungsbereiche klar abgegrenzt sind und Entscheidungen regelbasiert getroffen werden.
Durch die Aufteilung der Leitungsaufgaben auf drei Geschäftsbereiche wird bei wichtigen Entscheidungen ein Mehraugenprinzip sichergestellt. Darüber hinaus arbeiten wir gemeinsam mit dem Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat und dem Vermögensrat daran, die diözesanen Regelungen für die wirtschaftlichen Angelegenheiten im Erzbistum Köln gemäß der aktuellen Governance und Compliance-Standards weiterzuentwickeln.
Kurz bevor steht außerdem die Implementierung eines Hinweisgebersystems, über das unter anderem Compliance-Probleme gemeldet werden können. Um kontinuierlich besser zu werden, suchen wir außerdem den Austausch mit Experten. Deshalb haben wir uns in den vergangenen zwei Jahren mit dem "DICO – Deutsches Institut für Compliance" vernetzt. Ich bin optimistisch, dass wir mit diesem Ansatz auf einem guten Weg sind und hoffentlich schon bald erste Auswirkungen dieser Bemühungen deutlich sichtbar werden.
Der vollständige Gastbeitrag "Ein verborgenes Potenzial für die Zukunft der Kirche - Warum Governance und Compliance keine Fremdwörter bleiben sollten" ist verfügbar unter:
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