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Zwischen Schönheit und Schrecken:Seelsorge auf der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang

Baumkronen im Wald bilden ein Dach aus Blättern.
Datum:
13. Sept. 2024
Von:
Newsdesk/becker
Seit fast 20 Jahren ist die Kirche präsent im Nationalpark Eifel und auf der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang. Für Pastoralreferent Georg Toporowsky eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Das „Fackelträger“-Relief zeigt überlebensgroß das NS-Ideal des deutschen „Herrenmenschen“.

Durch das Blätterdach der Buchen malt die Sonne ihr Lichtspiel auf den warmen Waldboden. Grün leuchtet das Moos auf alten Baumstämmen, und außer dem leisen Rascheln eines Vogels im Unterholz ist nichts zu hören. Aufatmen, zur Ruhe kommen, genießen. Doch ganz in der Nähe wirft das fünf Meter hohe, in Stein gemeißelte Bild eines brachialen „Herrenmenschen“ seinen Schatten.

Das Relief des sogenannten „Fackelträgers“ ist unübersehbares Zeugnis der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten. Es steht auf dem Gelände der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang, einer Schulungsstätte für den Führungsnachwuchs der NSDAP. Mit ihrer monumentalen Architektur ist die Anlage, die von 1934 bis 1936 am steilen Hang oberhalb der Urfttalsperre errichtet wurde, heute eines der größten erhaltenen Bauwerke der Nazi-Zeit – und das mitten im Nationalpark.

Für Pastoralreferent Georg Toporowsky ist dieser Kontrast Alltag. Er arbeitet für die „Seelsorge in Nationalpark Eifel und Vogelsang“. Die Einrichtung des Bistums Aachen trägt beides im Namen: Schönheit und Schrecken. Rund eine Autostunde südwestlich von Köln liegt im Dreieck zwischen Nideggen, Gemünd und Höfen der erste und einzige Nationalpark Nordrhein-Westfalens: ein Ort, wo sich die Natur auf rund 110 Quadratkilometern weitgehend ohne menschliche Eingriffe entwickeln darf.

Blick auf die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang.

„Natur Natur sein lassen“ heißt das Motto. Schon jetzt sind in den Wäldern und Tälern des Nationalparks, an seinen Bächen und Seen und auf offenen Hochflächen mehr als 11.200 Tier- und Pflanzenarten heimisch – fast ein Viertel davon zählt zu den bedrohten Arten. Doch es sind nicht die Zahlen, die beeindrucken, sondern es ist die unermessliche Schönheit der Schöpfung: vom Blick auf die gigantische Milchstraße, die man in sternenklaren Eifel-Nächten mit bloßem Auge sehen kann, bis zur winzigen Punktschnecke, deren vollkommen geformtes Gehäuse nur mit einer Lupe zu erkennen ist.

Mit Angeboten wie spirituellen Wanderungen und Waldexerzitien wollen Toporowsky und sein Team diese Wunder erfahrbar machen. „Offroad“ sind zum Beispiel fünf Tage im August betitelt, die sich speziell an junge Menschen bis 27 Jahre richten. Unter dem Sternenhimmel übernachten, am Lagerfeuer kochen, sich im Bach waschen … „Da brauche ich nach zwei Tagen keine Naturwahrnehmung mehr anzuleiten“, sagt der Pastoralreferent, „da kommt das Gefühl tiefer Verbundenheit mit der Natur von selbst zurück.“

Sich als Teil all dessen zu empfinden, was lebt, ist für den 52-Jährigen allerdings nur Mittel zum Zweck – und der heißt: Motivation zu einem nachhaltigen Lebensstil. Toporowsky ist überzeugt: „Wer erreichen will, dass Menschen bei ihren Entscheidungen die Frage nach dem Erhalt der Schöpfung berücksichtigen, muss ihnen die Erfahrung schenken, wie gut ihnen Natur tut und dass sie spirituell und tiefenökologisch untrennbar mit ihr verbunden sind.“

Georg Toporowsky führt Gruppen über  das Gelände der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang.

Gänsehaut in der „Ehrenhalle“

Um Erfahrungen geht es bei der „Seelsorge in Nationalpark Eifel und Vogelsang“ auch bei Führungen über das Gelände der ehemaligen NS-Ordensburg. „Schauen Sie sich mal die Haltung dieses Mannes an“, bittet Toporowsky die Familien, mit denen er gerade vor dem Hochrelief des Fackelträgers steht. Jeder Muskel des steinernen Körpers verrät Anspannung. „Hier steht jemand, der darauf wartet, dass er endlich losschlagen kann, der weiß, wohin er will, und der auch weiß, dass ihn nichts mehr aufhalten kann.“ Ein entsprechendes Bild hat der Pastoralreferent der Gruppe schon in der sogenannten „Ehrenhalle“ gezeigt. Dort stand, geradezu sakral inszeniert, eine 3,5 Meter hohe, aus Eichenholz geschnitzte Statue mit dem Titel „Der deutsche Mensch“.

Hartes Training sollte diesen formen. „Mal ganz vorsichtig gefragt: Meinen Sie, ein halbes Jahr Muckibude würde aus mir einen solchen Hünen machen?“, fragt Toporowsky und hat angesichts seiner kleinen, schmächtigen Statur freundliche Lacher auf seiner Seite. Doch als er weiterspricht, bleibt den Teilnehmern der Führung das Lachen erkennbar im Hals stecken. „Die zweite Methode, dieses Idealbild des ,deutschen Menschen‘ wiederherzustellen, war Selektion. All diejenigen, die nicht in das Bild passten, wurden aussortiert, und in vielen Fällen hieß das: Sie wurden ermordet.

Blick auf die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang.

Die lange Liste derer, denen die Lebensberechtigung abgesprochen wurde, kennen Sie: Juden, Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung, Roma und Sinti, Menschen anderer Hautfarbe, Homosexuelle, Menschen aus Polen, Russland oder der Ukraine, die man ,slawische Untermenschen‘ nannte …“ Plötzlich ist es in dem vorher schon alles andere als gemütlichen Raum gefühlt noch ein paar Grad kälter.

Existenzielle Fragen

Doch so wichtig die Erinnerung daran ist, Vogelsang ist kein Ort des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Vogelsang ist ein Täterort. „Eine Schule der Respektlosigkeit“, wie Toporowsky sagt. „Hier ging es darum, jungen Männern Empathie und Mitgefühl auszutreiben und sie zu rücksichtslosen Durchsetzern des Rechts des Stärkeren zu machen.“ Und mit fast jedem Stein, mit jedem Bildnis und mit dem fantastisch inszenierten Blick über die herrliche Eifellandschaft fragt die Anlage nach der eigenen Verführbarkeit. Was ist mit dir? Wie sieht dein Menschenbild aus? Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein und Mensch zu bleiben? 

Ähnlich, wie man in den Wäldern des Nationalparks kaum um die Bewunderung der Natur und die Erkenntnis der eigenen Verbundenheit mit ihr herumkommt, kann man auf Vogelsang diesen Fragen nicht entfliehen. Für Toporowsky und sein Team – darunter viele junge Ehrenamtliche – der Grund, als „Seelsorge in Nationalpark Eifel und Vogelsang“ präsent zu sein. Denn Kirche ist für sie Erfahrungs- und Lernort. „Natürlich sind wir als Christen für Menschenwürde und Demokratie, für Naturschutz und Nachhaltigkeit“, so der Pastoralreferent. „Aber das ist schnell gesagt. Es braucht Orte, wo man sich damit auseinandersetzt. Wo man gemeinsam erörtert: Wie geht das denn? Was heißt das eigentlich? Und so verstehen wir uns als Kirche hier: als Lernort für Nachhaltigkeit und Menschenwürde.“ 

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