Inklusion im Rampenlicht:KJA Düsseldorf bringt Jugendliche mit und ohne Behinderung auf die Bühne
Neuss. Tumult in der katholischen Jugendeinrichtung "Das Haus": Es gab einen Unfall und Rudi Revolver, ein emsiger Straßenpolizist, stürmt mit Blaulicht-Helm und Kickroller auf die Bühne. Es ist Donnerstagnachmittag und das inklusive Theaterensemble "Perfekt ist sooo langweilig" trifft sich zur wöchentlichen Probe. Das Stück heißt "Pipapo und Sowieso – Der Umgang mit dem ganz normalen Familienwahnsinn". In abwechslungsreichen Szenen erwecken junge Schauspielerinnen und Schauspieler darin zwei grundverschiedene und verrückte Familien zum Leben: Familie Sowieso mit einer Helikopter-Mutter, die ihre Kinder auch beim Spazierengehen Schutzhelme tragen lässt, und die Patchwork-Familie Pipapo, bei der Umweltschutz-Aktionen mit Polizeieinsätzen zur Tagesordnung gehören.
Herausforderungen der Bühne sind für alle gleich
"Was heißt denn eigentlich Patchwork?", meldet sich die neunjährige Nela zu Wort als Regisseurin Bärbel Reimer noch einmal den Hintergrund der Szene zusammenfasst. Eine sehr gute Frage, findet Reimer, und erklärt der lauschenden Gruppe, dass der Begriff von einer bunt zusammengesetzten Flickendecke stammt. Die Regisseurin achtet darauf Leichte Sprache zu verwenden, nicht so verschachtelt zu sprechen und Fremdwörter zu meiden. "Das ist aber das einzige, was ich anders mache", sagt sie im Hinblick auf ihre vielfältige Truppe. Im 17-köpfigen Ensemble spielen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Behinderung – und das sehr professionell. Die Herausforderungen des Theaterspielens seien schließlich für alle Menschen gleich, betont Reimer: "Da geht es darum auf der Bühne Gefühle zu zeigen und auch mal laut zu schreien, oder um Lampenfieber und freies Sprechen." Und für all das findet Reimer individuelle Lösungen: Barbara zum Beispiel, ist beim Sprechen auf der Bühne sehr aufgeregt, aber wenn sie singt, klingt ihre Stimme voll und klar. Im Stück spielt sie darum die Oma, die singend den Kochlöffel schwingt.
Barrieren peu à peu abbauen
Anders sieht es aus, wenn äußere Barrieren die Performance der Theatergruppe erschweren – zum Beispiel bauliche. Wie zuletzt bei einem Straßenfest, als eine gehbehinderte Schauspielerin aufgrund steiler Treppe die Bühne nicht alleine erreichen konnte. "In solchen Fällen fühlen wir uns alle in unserem Tun behindert", sagt Victoria Dahm. Die Sozialpädagogin ist Teil des Ensembles und gründete vor über zehn Jahren mit Reimer die inklusive Gruppe. Das zu gleichen Teilen besetzte Ensemble veranschaulicht seitdem die Erfolgsgeschichte der inklusiven Arbeit in der KJA-Außenstelle. Ensemble-Mitglied Lika stellt klar: "Für uns gibt es nur ein Zusammen". Und Kerstin erläutert, dass es für die Gruppe wichtig sei, aufeinander Rücksicht zu nehmen: "Wenn jemand von uns nicht so lange stehen kann, machen wir eben Pausen oder holen einen Stuhl.", Dass Julius als Paul Pipapo im Theaterstück wegen seines realen Stotterns auf dem Pausenhof geschubst wird, geht auch nur, weil alle darauf achten, dass sich Julius nicht unwohl fühlt. Im Vorfeld hatte die Regisseurin mit ihm die Mobbingszene erarbeitet und Julius, der im echten Leben keine Ausgrenzungserfahrungen gemacht hat, ist stolz, diese wichtige und mutige Rolle im Stück zu übernehmen. "Du vertraust uns, oder?", fragt Lika. Julius nickt.
Damit Mobbing "im echten Leben nicht passiert"
Dass Mobbing im Theaterstück thematisiert wird, ergab sich aus den Unterhaltungen in einer Probe. Denn Regisseurin Reimer schreibt ihre Stück selbst und verarbeitet darin, was die jungen Schauspieler aktuell beschäftigt. Und wenn eigene Mobbing-Erfahrungen, Überlegungen darüber wie Menschen zu Tätern und Mitläufern werden, die Beziehung zu nervigen Eltern, die Arbeit einer Jugendberatungsstelle und die Zukunftsträume ganz unterschiedlicher junger Menschen aufeinandertreffen, entsteht ein fantasievolles und hochgelobtes Theaterstück mit starken Botschaften: "Wir zeigen Mobbing, damit es im echten Leben nicht mehr so oft passiert", sagt Kerstin.
Von den Brettern der Welt auf die Leinwand
Nach den Aufführungen im letzten Jahr mit ihrem Höhepunkt im Neusser Globe Theater hätte das Ensemble jeden Vormittag in einer anderen Schule spielen können, berichtet Reimer schmunzelnd. Das sei aber aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich: "Manche von uns gehen zur Schule, haben Jobs oder andere Verpflichtungen". Dann müsse eben ein Film über die Pipapos und Sowiesos her, forderten begeisterte Zuschauer. Gesagt, getan – Reimer und Dahm akquirieren aktuell Fördergelder und proben für konkret geplante Filmaufnahmen im Sommer. Das Ziel ist klar: Mehr Menschen sollen sehen wie Inklusion gelebt wird. "Wir müssen nicht warten bis alle Rahmenbedingungen perfekt und barrierefrei sind", betonen die beiden Inklusionsvorreiterinnen. "In unseren Köpfen fängt es an."
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