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Als Isina aus ihrem Dorf flieht, weiß sie, dass sie ihre Familie vielleicht nie wiedersehen wird. Doch daran denkt das Mädchen jetzt nicht. Sie will einfach nur weg von ihrem Vater und dem, was er für ihre Zukunft entschieden hat.:"Gefangen in der Tradition"

Wie bei vielen Volksgruppen in Afrika ist die Rollenverteilung bei den Massai traditionell geprägt. Die Frauen sind zuständig für Haushalt, Wasserholen und die Kindererziehung.
Datum:
12. Okt. 2015
Von:
missio Aachen
Tansania - Reportage - Massai-Frauen - Sonntag der Weltmission

Eigentlich hatte Isina* mit ihrer Familie in Frieden gelebt. Ihr Vater ließ sie sogar zur Schule gehen. Gerade hatte die 13-Jährige die Grundschule beendet und wäre gerne auf eine weiterführende Schule gegangen. Doch für die meisten Massai-Mädchen bleibt das ein Traum. Und Träume haben in der Tradition der Massai keinen Platz.

 

„Die Frauen arbeiten sehr hart“

Die Rolle für Frauen ist vorbestimmt. Sie versorgen die Familie, kochen, sammeln Feuerholz, holen Wasser und ziehen nebenbei oft noch eine stattliche Anzahl von Kindern groß. „Die Frauen arbeiten sehr hart“, erzählt Schwester Leah. „Doch Mitspracherechte haben sie keine.“ Die 42-jährige Ordensfrau sitzt im Jeep und weist dem Fahrer den Weg. Der Wagen schliddert auf der matschigen Piste umher, rutscht schließlich zur Seite. „Wir werden es nicht ins Dorf schaffen“, sagt er. „Kein Problem, dann gehen wir eben zu Fuß“, meint Schwester Leah, greift ihre Handtasche und nickt ihrer Mitschwester aufmunternd zu.

Schwester Leah Kavugho gehört zu den "Oblate Sisters of the Assumption“. Seit über zehn Jahren arbeiten sie mit den Massai in entlegenen Dörfern des Erzbistums Arusha. Dort gibt es kaum Schulen und nur eine schlechte staatliche Gesundheitsversorgung. Ein Drittel der Massai in diesen Dörfern sind Christen. Es gibt sogar einige Massai-Katechisten.

Die Schwestern haben Frauengruppen gegründet, unterstützen diese bei kleinen, Einkommen schaffenden Projekten, betreiben Kindergärten, Schulen und ein Ausbildungszentrum für Lehrer. Sie klären über Gesundheitsrisiken auf, und wie wichtig es ist, die Kinder zur Schule zu schicken.

Gegen Ende ihrer Grundschulzeit hatte Isina bemerkt, dass ihre Hochzeit kurz bevorstand. Der Mann war so alt wie ihr Vater. Er hatte bereits zwei Ehefrauen und Kinder, die älter als Isina waren.

Kinderehen sind bei den Massai häufig. Oft werden Mädchen im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren beschnitten und kurz darauf vermählt. Dafür erhält der Brautvater Kühe und Geld.

Als Isina von der Heirat erfuhr, rannte sie weg. Sie wollte zu den Schwestern, die ihr gesagt hatten, dass sie selbst über ihr Leben entscheiden könne.

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Freundlicher Empfang

Zu Fuß erreichen die Ordensschwestern das Massai-Dorf, eine Ansammlung fensterloser Lehmhütten. Kinder laufen auf sie zu, hochgewachsene Männer begrüßen sie freundlich. Frauen sitzen zusammen, fertigen Massai-Schmuck an. „Diese Gruppe haben wir ins Leben gerufen“, erklärt Schwester Leah. „Durch den Verkauf an Touristen erwirtschaften die Frauen ein kleines Einkommen.“ Vor zehn Jahren gaben die Schwestern den Frauen Geld für eine Kuh. „Heute hat jede Frau eine eigene Kuh, kann die Milch verkaufen“, erklärt Schwester Leah. Sie sparen etwas Geld, um die Kinder zur Schule zu schicken.

Von den Frauen hört Schwester Leah, dass letzte Nacht im Dorf ein Kind geboren wurde. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn die Frau im Krankenhaus entbunden hätte. Denn oft sterben Frauen bei der Geburt. Seit Jahren klären die Schwestern darüber auf. Meist mit Erfolg. Die Sterblichkeitsrate sank bereits. Beim Besuch des Neugeborenen fragt Schwester Leah den Vater, warum er seine Frau nicht in die Krankenstation gebracht hat. Der rechtfertigt sich damit, dass das Kind früher kam als gedacht. Schwester Leah wirft ihm einen ärgerlichen Blick zu. Doch als sie Mutter und Kind sieht, ist ihr Ärger schon wieder verflogen.

Seit 2011 leitet die Ordensfrau, die aus dem Kongo stammt, ihre Kongregation in Tansania. Von ihrem Konvent in Arusha aus besucht sie regelmäßig die zwei Außenstationen ihres Ordens in Wasso und Loliondo, nahe Kenia. Mit dem Bus über Sand- und Geröllpisten braucht sie neun Stunden. Doch nicht nur die langen Fahrten sind mühsam. Immer wieder kämpfen die Schwestern mit Rückschlägen. So raffte eine mysteriöse Krankheit alle Hühner einer ihrer Frauengruppen dahin und ließ das Projekt scheitern. Ein anderes Mal brannte der Schlafsaal ihres Schulinternats in Arusha ab.  Besonders traurig und wütend hat Schwester Leah aber das Schicksal des Massai-Mädchens Soi Sadira gemacht. Die Eltern verheirateten die Zwölfjährige mit einem 45-jährigen Mann. Doch das Mädchen floh zurück nach Hause. Daraufhin schickten die Eltern sie, begleitet von Männern, zurück. Als sie sich weigerte, schlugen diese auf sie ein. Soi erlag den Verletzungen.

Auf ihrer Flucht war Isina stets auf der Hut. In der Savanne sind immer Menschen unterwegs. Frauen, die Wasser und Brennholz holen, Männer, die Rinder hüten. Bestimmt ließ man sie auch bereits suchen, dessen war sie sich gewiss. Schließlich gelang es ihr, die Ordensfrauen in Wasso zu erreichen. Sie nahmen sie auf und brachten sie in das Schulinternat des Ordens nach Arusha.

 

Schwestern überzeugen Dorfälteste

„Ich respektiere die Kultur der Massai“, erklärt Schwester Leah. „Doch Frauen sollten wählen können, wie sie ihr Leben führen möchten. Und das können sie nur, wenn sie einen gewissen Bildungsstand erreicht haben.“ Es sei nicht einfach in einer Kultur, in der Frauen traditionell kein Mitspracherecht haben, Männer für Gleichheit und gegenseitigem Respekt zu gewinnen. „Es ist wichtig, gerade die Dorfältesten von den Vorteilen einer guten Schulbildung für Jungen und Mädchen zu überzeugen“, sagt die Ordensfrau. Darin ist sie auch recht erfolgreich. In einem Dorf stellten die Ältesten sogar Land für eine Schule zur Verfügung. Einige Männer sind stolz auf ihre Frauen, die ein kleines Einkommen erwirtschaften. „Die Männer haben ausdrücklich zugestimmt, dass die Frauen das Geld behalten dürfen“, berichtet Schwester Leah.

Vom Konvent in Arusha ist der schneebedeckte Kilimanjaro zu sehen. Die 115 Mädchen im Schulinternat haben für den berühmten Berg jedoch kaum einen Blick übrig. Sie strömen in die Schule, voller Tatendrang. Seit zwei Jahren lebt und lernt Isina jetzt hier. „Manchmal vermisse ich meine Eltern, besonders meine beiden kleinen Geschwister“, sagt sie. „Aber dann denke ich, mein Zuhause ist jetzt hier.“ Isinas Eltern wissen, dass ihre Tochter in Arusha zur Schule geht. Doch wo genau, wissen sie nicht. „Mein Vater wird sicher sehr wütend sein. Er sollte ja Kühe und Geld bekommen“, erklärt Isina. „Aber das Geld ist schnell ausgegeben. Und die Kühe sterben. Doch meine Bildung wird mich ein Leben lang begleiten.“

Bettina Tiburzy

 

*Name geändert

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