Pfarrer und Pastoralreferentin aus Leichlingen berichten von großem Zusammenhalt:Ein Jahr nach der Flut: Wie geht es den Menschen heute?
Als die Unwetterkatastrophe am Abend des 14. Juli 2021 über Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hereinbricht, tritt auch die Wupper in Leichlingen über die Ufer. „Für mich ist immer noch unbegreifbar, wie ein sonst so friedlicher Fluss zerstören und in Schrecken versetzen kann“, sagt Pfarrer Michael Eichinger aus der Gemeinde St. Johannes Baptist und St. Heinrich. Teile der Leichlinger Innenstadt stehen damals komplett unter Wasser, Geschäfte sind zerstört, Keller mit Wasser und Schlamm vollgelaufen, viele Wohnhäuser bis zur ersten Etage nicht mehr bewohnbar. Tage nach der Flut sind die Aufräumarbeiten noch im vollen Gange und das Stadtbild von Sperrmüll und Unrat in den Straßen geprägt.
Was in diesen schweren Momenten Hoffnung gibt? Die enorm große Solidarität und Hilfsbereitschaft, „dass wir nicht alleine sind und in der Not zusammenstehen“, sagt Pastoralreferentin Inge Metzemacher. Auch Pfarrer Eichinger hat die Hilfsbereitschaft nachhaltig beeindruckt. Er erinnert sich an ein Gespräch mit Betroffenen, die von jugendlichen Helfern aus Solingen erzählt haben. Sonst fielen die Jugendlichen eher unangenehm an Karneval auf, jetzt packten sie bei den Aufräumarbeiten mit an. Andere Helfer bringen Essen, bieten Wohnungen an oder organisieren Hilfstransporte. Auch gibt es finanzielle und materielle Hilfen für die Betroffenen durch private Spenden. Diese Menschen haben der Nächstenliebe „eine konkrete Gestalt“ gegeben, findet Eichinger.
Die Menschen müssen reden
In den ersten Tagen nach der Flut gehen der Pfarrer und sein Seelsorgeteam durch die Straßen und reden mit den Menschen. „Der Gesprächsbedarf war enorm“, erzählt Pfarrer Eichinger rückblickend. „Auch bei denen, die uns gar nicht kannten.“ Im Vordergrund der Gespräche stehen zunächst existenzielle Fragen: Kann das Haus wiederaufgebaut werden? Wie lange wird das dauern? Wie wird das finanziell werden? Später initiiert die Gemeinde gemeinsam mit einer Psychologin eine Gesprächsgruppe, die sich im Pfarrheim trifft.
Ein Jahr nach der Flut lebe in Gesprächen vieles wieder auf, berichtet Eichinger. Bei Hausbesuchen würden die Ereignisse des letzten Sommers immer noch angesprochen. Seelsorgliche Angebote zur Flut hingegen gebe es keine mehr. „Wir haben den Eindruck, dass die Menschen, die am schwersten traumatisch betroffen waren, therapeutische Hilfe bekommen haben.“ Zum Jahrestag der Katastrophe blicken die Menschen zurück. Einerseits mit Erleichterung über den Wiederaufbau, andererseits mit Angst vor einer Wiederholung der schrecklichen Ereignisse. „Bei manchen löst ein langer Regenschauer Ängste aus und Erinnerungen an die Katastrophe aus dem Sommer 2021 werden wieder wach.“
Beratungen der Ehe-, Familien- und Lebensberatung haben zugenommen
Angst- oder Panikattacken sowie Schlafstörungen oder schnelle Überforderung und Reizbarkeit bis hin zu körperlichen Schmerzen können typische Belastungsreaktionen Betroffener sein. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf die Flutkatastrophe und geht anders mit den traumatischen Erlebnissen um. Das stellen auch die Mitarbeiter der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung EFL in Euskirchen immer wieder fest. Unmittelbar nach der Flut gehen Leiter Benedikt Kremp und sein Team raus zu den Menschen und bieten niederschwellige psychologische Beratung an. Später kommen Informationsveranstaltungen zu typischen Belastungsreaktionen Betroffener hinzu.
Viele Betroffene suchen aber erst ein paar Monate nach der Flut Hilfe. Laut Jahresbericht der EFL Euskirchen verzeichnet die Beratungsstelle ab Herbst 2021 einen Anstieg an Neuanmeldungen für Beratungen. Die Betroffenen erzählen in den Erstgesprächen immer wieder, sie hätten erst nach einer Weile realisiert, dass es sinnvoll oder notwendig sei, sich Hilfe zu holen, schreibt Kremp. Zunächst glaubten sie, die Belastungsreaktionen seien nicht so schlimm und würden sich wieder legen.
In den Beratungen helfen die sieben Mitarbeiter der EFL Euskirchen ihren Klienten die psychischen Reaktionen auf das Erlebte zu verstehen und vermitteln Übungen und Techniken zur psychischen Stabilisierung. Nach Auskunft der EFL sind bis zum heutigen Tag rund 280 Beratungsstunden geleistet worden, die mit der Flut zu tun haben. Dahinter stehen ca. 60 Klientinnen und Klienten. In den meisten Beratungsverläufen stelle sich bereits nach wenigen Beratungskontakten eine Verbesserung ein.
Hoffnungsvolle Blicke in die Zukunft
Die Flutkatastrophe hat nicht nur bei den Menschen und in den Straßen ihre Spuren hinterlassen. Auch im Stadtleben von Leichlingen hat sich etwas verändert. Die Räume des Pfarrheims waren lange Zeit die einzigen „öffentlich“ nutzbaren Räume. Ein Arzt impfte hier gegen Corona. Gruppen und Organisationen, die keine Verbindung zur Gemeinde hatten, trafen sich hier. Und auch die Familienberatungsstelle fand im Pfarrheim eine Unterkunft. Die evangelische Kirche und die Stadtverwaltung sind heute teilweise immer noch sehr in Mitleidenschaft gezogen. „Wir wurden von der Stadt anders wahrgenommen“, sagen Pfarrer Eichinger und Pastoralreferentin Metzemacher. Das habe sich in diesem Jahr sehr positiv bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt.
Und auch das Gemeindeleben hat sich verändert. Die Themen des Klimaschutzes seien vorher nicht so präsent gewesen, meinen Eichinger und Metzemacher. Nun sei eine „größere Sensibilisierung für Ökologie festzustellen.“ So wurde zum Beispiel eine neue umweltvfreundliche Heizung angeschafft. Dass der Klimawandel mehr zum Thema geworden ist, zeigen auch die Überlegungen mancher Leichlinger in einen höhergelegenen Ortsteil zu ziehen. „Wir haben den Eindruck, dass manche skeptisch in die Zukunft blicken, denn eine Wiederholung der Ereignisse ist durch den Klimawandel nicht ausgeschlossen“, sagt Pfarrer Eichinger. Insgesamt überwiege aber die Hoffnung, dass sich solch eine Katastrophe nicht so schnell wiederholen werde. „Wir sind noch einmal davongekommen.“
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