Wo Legenden zum Leben erwachen:Die Goldene Kammer in St. Ursula wird restauriert
Tritt man in die geräumige Kapelle, lenkt eine kleine Stufe die Aufmerksamkeit auf den schwarz-weißen Steinboden. Doch bald wird der Blick angezogen von einem goldenen Glanz, tastet entlang der hohen Wände und verharrt auf fremdartigen Formen: Menschliche Gebeine bilden archaische Symmetrien, formen Buchstaben und Mosaike. Mit einem ‚schaudernden Staunen‘ beschreiben Besucher ihren ersten Eindruck von der Goldenen Kammer in der Kölner Basilika St. Ursula. Der Blick wandert weiter – über Goldverzierungen und die freundlich lächelnden Büsten von Ursula und ihren Gefährtinnen. Was bringt diese gotischen Schönheiten zum Lächeln? Ist es vielleicht die Verehrung der Gläubigen im Mittelalter, die den jungen Märtyrerinnen die größte Beinkammer nördlich der Alpen errichteten? Ein Besuch in St. Ursula offenbart zahlreiche Fragen und faszinierende Antworten – wie ein Blick durchs Schlüsselloch in eine andere Zeit.
An einem Junitag nimmt jedoch ein modernes Baugerüst die Goldene Kammer in Beschlag. Es verdeckt die vergleichsweise kahle Südwand, die ohne prunkvolle Verzierungen die freie Sicht auf ihr Innenleben zulässt: Holzbüsten und stoffverzierte Schädelknochen ruhen in den offenen Regalen. Davor herrscht rege Betriebsamkeit. Zwei Restauratorinnen montieren behutsam Goldornamente an ihrem vorgesehenen Platz. Ebenfalls anwesend ist Dr. Anna Pawlik, Erzdiözesankonservatorin des Erzbistums Köln. Sie koordiniert die Restaurierung der Goldenen Kammer und haushaltet mit den Finanzmitteln für Kunstdenkmalpflege des Erzbistums. Insgesamt 700.000 Euro fließen aus diesem Topf in den Erhalt der Goldenen Kammer.
Ein umfangreiches Puzzle
„Wir haben es hier mit dem größten 3D-Puzzle Kölns zu tun. Stellen Sie sich 3.000 Einzelteile vor und alles ist Himmel“, schmunzelt Pawlik. Höchste Sorgfalt und die reibungslose Zusammenarbeit verschiedenster Gewerke sind dabei das A und O. Fachrestauratorinnen für Textilien, Knochenmaterial, Metall, Glas, Vergoldung und Holz sind seit Anfang 2022 mit Restaurationsarbeiten beschäftigt. Fast vier Jahrhunderte ohne Erhaltungsmaßnahmen, mehrere Kriege und zuletzt zahllose Holzschädlinge fordern ihren Tribut.
Die Diplom-Restauratorinnen Linda Schäfer-Krause und Dorothee Fobes-Averdick reinigen, kitten Fehlstellen, vergolden und retuschieren. Nach etwa zweieinhalb Jahren Arbeit kennen sie die vergoldeten Schnitzwerke bis ins kleinste Detail. „Wir freuen uns jetzt schon darauf, die Kammer endlich wieder als Gesamtkunstwerk zu sehen“, sagt Schäfer-Krause. Die verantwortungsvolle Aufgabe, diesen Ort für nachfolgende Generationen zu erhalten, erfülle sie auch mit ein bisschen Stolz, fügt ihre Kollegin hinzu.
Die Kirche von Kölns Stadtpatronin ist sehr beliebt
Und tatsächlich ist das Interesse für die Reliquienkapelle der Kölner Stadtpatronin seit Generationen ungebrochen. Nach dem Dom ist St. Ursula die meistbesuchte Kirche in Köln. Damit Gotteshaus und Kulturdenkmal zum Beten, Staunen und Informieren zugänglich sind, hält ein gut organisierter Empfangsdienst aus ehren- und hauptamtlichen Kräften die Kirche geöffnet. „Denn was nützt die schönste Kirche, wenn sie zu ist?“, fragt Michaela Renkel.
Die pensionierte Theologin und einstige Ursulinenschülerin steht interessierten Besuchern, Touristen und Pilgergruppen einmal in der Woche als Ehrenamtliche Rede und Antwort: Sind die Knochen echt? Wie war das nochmal mit der Legende von Ursula und den 11.000 Jungfrauen auf Pilgerfahrt? Und was hat es mit dem katholischen Reliquienkult auf sich?
Renkel beantwortet all diese Fragen ausführlich. „Auch, wenn uns die Frömmigkeit des 17. Jahrhunderts mit der Verehrung von Gebeinen heute fremd scheinen mag, ist es wichtig, diesem Glauben offen und respektvoll zu begegnen“, erläutert sie ihre Überzeugung. „Für manche Menschen eröffnet der Besuch eines Kulturdenkmals sogar einen neuen Zugang zum Glauben.“
Wenn im Frühjahr 2025 der letzte Teil der Restaurierung beginnt, werden sich die Restauratorinnen den 118 Büsten widmen. Mit ihrem seligen Lächeln sollen die Märtyrerinnen danach noch viele Jahrhunderte vom Angesicht des Himmelreichs erzählen.
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