Erzbistum Köln - Interview mit Diözesanreferent Andreas Gesing - Menschen mit Behinderung in Gemeinden:Behindertenseelsorger: „Mutet euch die Begegnung auf Augenhöhe zu!“
Köln. Mehr als 9 Prozent der Deutschen haben eine Behinderung. Das fordert auch die Seelsorge in den Kirchengemeinden heraus. Andreas Gesing hilft Gemeinden im Erzbistum Köln dabei, Barrieren abzubauen. Er warnt davor statt der Barrieren die Menschen abzubauen.
Im Interview mit dem Newsdesk schildert er seine Erfahrungen im Umgang mit behinderten Menschen und zur aktuellen Diskussion um den Trisomie-Bluttest.
Newsdesk: Sie arbeiten in der Seelsorge für Menschen mit Behinderung. Formen der Behinderung können dabei sehr unterschiedlich sein. Wie definiert sich Behinderung aus Ihrer Sicht?
Gesing: Das ist eine komplexe Frage. Manche Menschen sagen von sich: ‚Ich bin nicht behindert, ich werde behindert.‘ Das ist dann der Fall, wenn sie von einer Norm abweichen, die von der Gesellschaft aufgestellt wird.
Letztlich kann jeder Mensch irgendetwas gut und viele Dinge nicht und erlebt letzteres gar nicht als Beeinträchtigung. Erst wenn ich in meinem Umfeld viele Barrieren erfahre, empfinde ich mich dadurch als behindert.
Bluttest hat gefährliche Signalwirkung
Newsdesk: Oft hat man den Eindruck, dass unsere Gesellschaft immer barriereärmer wird. Durch den technischen Fortschritt können Blinde, Hörbehinderte und Körperbehinderte oft sehr gut am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Geistig Behinderte dagegen denken manchmal, dass ihr Dasein als "vermeidbares Übel" erlebt wird – gerade wird dies ja durch die Diskussion über den Bluttest auf Trisomie deutlich.
Gesing: Dieser Bluttest und andere, die vermutlich darüber hinaus entwickelt werden, haben eine gefährliche Signalwirkung. Die Gefahr ist, dass sich die Gesellschaft dahin entwickelt, nicht Barrieren abzubauen, sondern die Menschen selbst. ‚Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann‘, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker einmal. Das gesellschaftliche Ziel sollte sein, zu akzeptieren, dass jeder Mensch so wie er ist wertvoll ist. Jedem sollte mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet werden.
Newsdesk: Sie sind im Erzbistum Köln ein Ansprechpartner für Behindertenseelsorge. Welche Herausforderungen gibt es in der Pastoral vor Ort?
Gesing: Vielfach sind Seelsorger im Zwiespalt und wenden sich an uns mit Fragen wie: Wir haben in der Erstkommunion ein Kind mit Down-Syndrom, können wir das Kind überhaupt richtig auf das Sakrament vorbereiten? Oder eine Familie kommt mit einem Schwerstmehrfachbehinderten in den Gottesdienst, der zuckt und schreit. Wir beraten gerne bei solchen Fragen und helfen, Behinderte zu integrieren.
Es gibt auch positive Diskriminierung
Newsdesk: Gibt es da so viele Defizite?
Gesing: Nicht unbedingt, an vielen Stellen gelingt das sehr gut. Manchmal gibt es aber auch positive Diskriminierung. So werden etwa gerade Menschen mit Down-Syndrom manchmal in den Mittelpunkt gestellt, weil man ihnen eine fröhliche Ausstrahlung nachsagt. Dabei werden sie aber manchmal von oben herab behandelt und nicht für voll genommen. Dabei sind Behinderte wie alle anderen Menschen nicht nur lieb und nett. Da sagen wir den Seelsorgern: ‚Mutet euch die Begegnung auf Augenhöhe mit Menschen mit Behinderung zu!‘ Wohnheime für Behinderte sind zum Beispiel Teil der Gemeinde.“
Newsdesk: Wann ist Ihre Arbeit denn überflüssig, an welchem Punkt sind Gemeinden wirklich barrierefrei und inklusiv?
Gesing: Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man jemals barrierefrei sein könnte. Das Ziel muss es sein, möglichst barrierearm zu werden, ob mit Induktionsschleifen für Leute mit Hörgerät, großer Schrift auf Liedzetteln, der Verwendung von Leichter Sprache oder auch mit besonderen Angeboten für Behinderte.
Darüber hinaus möchten wir dazu beitragen, dass das gemeinsame Leben gelingt. Das heißt nicht, dass man alles zusammen machen muss und dass alle Angebote der Gemeinde für jeden geeignet sein müssen. Manchmal kann man auch die Bedürfnisse Einzelner speziell in den Blick nehmen, das tun wir für Jugendliche, Senioren, Frauen und Männer und das sollte auch für Menschen mit Behinderung gelten.
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