In der Schule erzählt man sich etwas. Erfahrung, die von Mund zu Mund gehe, so Walter Benjamin über den Erzähler, sei die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft hätten. Es habe zwei archaische Stellvertreter des Erzählers gegeben: den sesshaften Ackerbauern und den Seemann. Sie, so Benjamin weiter, erzählten Wahrheiten: überlieferte und fremdartige Wahrheiten aus anderen Ländern. Die volle Präsenz erhalte der Erzähler nur, wenn er beide Typen vergegenwärtige. Wenn einer eine Reise tue, dann wisse er etwas zu erzählen. Beim einen seien es die Überlieferungen und beim anderen seien es die Berichte aus fernen Ländern.
Im Lehrberuf gerät das Erzählen etwas in Vergessenheit, gilt es doch Kompetenzen zu vermitteln. Hier wird nicht mehr erzählt, und „Rat wissen“ klingt sowieso längst altmodisch. Daran sei der Umstand schuld, dass Mitteilbarkeit der Erfahrung abnehme. Infolgedessen wüssten wir uns und anderen keinen Rat. Wenn früher die Seraphine aus der Wolke schauten, so postet man heute sein Wissen in die Cloud. Der Rat im Lehrerberuf ist minder die Antwort auf eine Frage als vielmehr ein Vorschlag. Der Mensch öffne sich einem Rat nur so weit, als er seine Lage zu Wort kommen lasse.
Der der Erzählung immanente Rat muss auf das Gegenüber zugeschnitten sein, was in der kontextuellen Situation des Erzählers möglich ist. Der Erzähler ist ein guter Erzähler, Pädagoge oder Lehrer, wenn er das Dispositiv bereitet, das es dem Gegenüber ermöglicht, seine Lage zu Wort kommen zu lassen.
O. Gruschka