Bei dem Wort „Reliquie“ denken die meisten Menschen wohl zunächst an einen biologischen oder textilen Überrest eines „christlichen Glaubenszeugen“. Wenn ein christentumfeindliches Regime, wie der Nationalsozialismus, es aber auf die vollständige Vernichtung seiner Gegner abgesehen hat, kann das letzte erhaltene schriftliche Zeugnis des „Märtyrers“ ebenso zu einer „Reliquie“ werden. Zugleich legen diese Umstände es nahe, dass ein solcher „Brief“ in der Regel nicht in den amtlichen Kernbeständen eines Archivs überliefert wurde. So ist der letzte Brief, den der Geschäftsführer des Kolpinghauses Köln-Zentral, Theodor Babilon, an seine Familie richtete, erst jüngst von seiner Tochter für die „Sammlung Nationalsozialismus“ des Historischen Archivs des Erzbistums Köln abgegeben worden.
Seit 1932 wirkte der tiefgläubige Familienvater Babilon engagiert als Geschäftsführer des Kölner Kolpingwerkes. Mit dem Kolping-Präses, Heinrich Richter, und anderen wurde er in Nachgang zu Graf Stauffenbergs Attentatsversuch vom 20. Juni 1944 von der Gestapo verhaftet und in den berüchtigten Kellern des Kölner EL-DE-Hauses verhört. Anschließend ins KZ-Außenlager Köln-Deutz verbracht nutzt er – um seine Familie nicht in die drohende „Sippenhaft“ zu bringen – nicht nach einem Luftangriff die Gelegenheit zur Flucht.
Am 15. Januar 1945 kam „plötzlich der Befehl, daß 330 Häftlinge vom Klingelpütz nach dem KZ-Buchenwald bei Weimar kämen“. Unter ihnen waren Richter und Babilon. Er schrieb am 16. Januar „vom Transport diesen letzten Brief, weil ich nicht weiß, ob ich in Buchenwald dazu Gelegenheit habe“. Damit sollte Babilon Recht behalten, denn er kam in das Außenlager Ohrdruft (Thüringen). Dort soll er an „Gehirnhautentzündung gestorben“ sein.
In seinem letzten Brief vom 16. Januar 1945 war Babilon noch frohen Mutes gewesen, dass „die Arbeit um Freilassung“ fortgesetzt werde könne. Seiner Familie gegenüber formulierte er: „Betet weiterhin tüchtig, daß alles gut geht und daß wir uns alle glücklich wiedersehen“. Das Postskriptum von Theodor Babilon zeigt seine ungebrochene Glaubenskraft, bestätigt seine Aufnahme ins Kölner und ins Deutsche Martyrologium und gilt auch im 21. Jahrhundert als Glaubenszeugnis: „Gottes Segen begleite uns alle weiterhin“.
Reimund Haas