„Zur Ehre Gottes geschwungen“ – ein spätromanisches Weihrauchfass in St. Severin in Ruppichteroth
Rheinland oder Westfalen, zweite Hälfte 13. Jahrhundert
Bronze, gegossen, vergoldet, punziert
Höhe 25 cm, Durchmesser 11,7 cm
Die im historischen Ortskern von Ruppichteroth gelegene Kirche St. Severin bewahrt ein besonderes Kleinod: ein reich gestaltetes spätromanisches Weihrauchfass. Romanische Objekte sind in den Kirchen des Erzbistums Kölns nur noch selten erhalten. Sie erlauben einen Blick weit über unsere Zeit hinaus in die hochmittelalterliche Vergangenheit unserer Kirchengemeinden.
Das Feuerbecken ruht auf einer leicht geschweiften, hohen, vierseitigen, stumpfen Pyramide, die den Fuß bildet. Es ist in seiner Grundform eine Halbkugel mit schwach auskragenden, leicht gewölbten, halbkreisförmigen und durchbrochen gearbeiteten Beckenschilden, deren Kanten mit einem Perlband punziert sind. Durch diese Formgebung ergeben sich ein passförmiger Querschnitt und der Eindruck eines Würfelkapitells. Die Beckenschilde sind gefüllt mit nach rechts gewendeten Personifikationen der vier in Genesis 2,10–14 genannten, dem Paradiesstrom entspringenden Flüsse Pischon, Gihon, Tigris und Eufrat. Es sind unbekleidete Gestalten mit nach hinten wehenden Haaren, in halb liegender, halb laufender Bewegung. In ihren Händen halten sie Wasserkrüge.
Der Deckel baut sich wie ein Tannenzapfen auf und zitiert eine dreizonige, abstrakte Dach-/Turmarchitektur aus versetzt hinter- und übereinander gestaffelten, leicht zugespitzten giebelartigen Bogenfeldern mit Schlüssellochfenstern. Vor den Bogenfeldern der beiden oberen Zonen stehen kleine Apsiden mit Schirmdächern und drei verschiedenen Fensterformen (Schlüsselloch-, Rundbogen und Rechteckfenster). Alle Bogenfelder und alle Fenster besitzen eine Rahmung aus punzierten Perlbändern. Die schmalen, bandartigen Dachflächen sind mit einem regelmäßigen Rautenmuster punziert.
In den vier durchbrochen gearbeiteten Bogenfeldern der unteren Zone des Deckels, die den Beckenschilden entsprechen, sind die Symbole der Evangelisten zu sehen. Die Ränder darunter sind wie diejenigen des Beckens mit einem Zickzackfries gepunzt; sie erhalten dadurch eine Scharnierfunktion. Bekrönt wird der Deckel von einem leicht konischen Mittelturm, der durch vier Schlüssellochfenstern geöffnet ist und einen Kugelknauf trägt. An die Wandung des Turms lehnen sich vier weitere Apsiden mit Schirmdächern an.
Der turmartige Aufbau des Deckels ist ein Verweis auf die im 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes beschriebene neue Stadt, das Himmlische oder Neue Jerusalem, das am Ende aller Zeiten entstehen wird (Offenbarung 21, 9–27).
Jüngere Ergänzungen am Weihrauchfass – möglicherweise aus dem 19. Jahrhundert – sind die vier Ketten und der von Rundbogenöffnungen und liegenden Dreipässen durchbrochene, kegelförmige Kettenhalter.
Die eindeutige Herkunft des Fasses ist heute leider nicht mehr sicher bestimmbar. Man kann aber davon ausgehen, dass es zum Inventar der romanischen, 1892 bis auf den Turm abgebrochenen Pfarrkirche in Ruppichteroth gehörte. Aufgrund einiger typologischer Merkmale, wie etwa dem vierseitigen Fuß und die gestreckte Gefäßform, gilt eine Entstehung in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts als wahrscheinlich.
„Mein Bittgebet sei ein Räucheropfer vor deinem Angesicht“ – so heißt es in Psalm 141,2. Das Weihrauchfass in Ruppichteroth zeigt eindrucksvoll, wie formschön „die Welt mit lieblichem Duft“ (Reuter 1977, S. 157) erfüllt werden kann, der wie die Gebete der Menschen zu Gott aufsteigt.
Carsten Schmalstieg