Vom Visuellen zum Kontemplativen. Der mittelalterliche Schmuckfußboden in St. Chrysanthus und Daria in Bad Münstereifel
Mittelalterliches Fußbodenmosaik, vermutlich erste Hälfte 12. Jahrhundert
Verschiedenfarbiger Marmor, Porphyr, Kalksinter
Maße Rechteck: Höhe 83 cm, Breite 100 cm
Maße zwei Quadrate: Höhe 50 cm, Breite 50 cm
Ganz im Osten, in der Chorapsis der Stiftskirche St. Chrysanthus und Daria in Bad Münstereifel befindet sich ein Objekt, das dem Blick der Kirchenbesuchenden aufgrund seines Standortes gänzlich verborgen bleibt. Dort liegt vor dem Altar ein aufwendig gestaltetes, in der Opus Sectile-Technik gelegtes Mosaik, das mit seinem Ornamentmuster aus Quadraten, Kreisen und Dreiecken in einer langen Tradition mittelalterlicher Schmuckfußböden steht.
Vom Mittelpunkt des Feldes ausgehend schließen orthogonal verlegte Plättchen aus farbigem Marmor die vorhergehende Schicht ein. Suchend wandert das Auge über Drei- und Vierecke aus schwarzem und weißen Marmor und über kleinteilig verlegte Bänder aus Plättchen, sogenannten Tesserae. Diagonal verlaufende Schnittkanten ergeben stets eine Vielzahl an Formen – es entstehen Kreuze, Rauten, Sterne und Zackenbänder. Immer wieder fokussiert der Blick die neuen Formen, findet in ihnen Anhaltspunkte, Markierungen, die helfen, das Muster zu durchdringen, den Rhythmus zu verstehen. Schicht für Schicht und Stein für Stein korrelieren mit einer dem Muster inhärenten Ordnung – Wiederholungen bilden die Regelhaftigkeit, die es zu ergründen gilt. Die Farbigkeit des Materials, die Beschaffenheit der Oberfläche, die Ordnung der Linienführung, all dies sind die Qualitäten, die das Ornament in sich vereint.
Gelingt es dem Auge schließlich, müde von den Verstrickungen des Blickes, zur Ruhe zu kommen, ergibt sich ein Sog in die Tiefe des Ornaments, der jegliche Flächenwirkung hinter sich lässt. Über das Loslassen des Blickes von einzelnen Fokuspunkten nimmt der Geist nur noch das Ornament und seine Ordnung wahr. Das Ornament spiegelt den Blick und führt von der Sicht auf das Äußere, der Bildebene, zur inneren Schau und damit auf die eigentliche Dingebene. Es ist das Medium zwischen der visuell erfahrbaren Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und der inneren Schau. Über diesen visuellen Prozess des Oszillierens zwischen Fläche und Tiefe, Innen und außen, gelangt die Betrachtende zum eigentlichen Objekt der Kontemplation – das selbst in der Ordnung der göttlichen Schöpfung und damit einer Vision des Göttlichen.
Die Kraft des Ornaments als Medium zwischen Individuum und Göttlichem wird in dem Fußbodenmosaik mit seiner Funktion als Schwellenort verbunden. Das Fußbodenniveau in der Apsis liegt eine Stufe höher als das des restlichen Chorraumes, der Blockaltar bildet den Ausgang für die gestalterische Gliederung des Fußbodens. Die exakte Position, an der das Ornamentfeld eingelegt ist, deutet auf die wichtige Schwelle des liturgischen und rituellen Raumes hin – ist dies doch der Schwellenort an dem der Priester bei der Feier der Eucharistie steht. Das Fußbodenmosaik ist damit ein Schwellenort zwischen realem und transzendentem Raum, welcher erst durch das Ornament als Mittler zwischen innerer und äußerer Schau erkennbar wird.
Die Gestaltung des Fußbodens im Chor der Stiftskirche erfolgte vermutlich in der Zeit ihres Umbaus zwischen 1108 und 1112. Ähnlichkeiten zwischen dem Mosaik in Bad Münstereifel und denen in Essen-Werden (1066/81), St. Viktor in Xanten (1109/28), St. Severin (Mitte 12. Jahrhundert) und St. Pantaleon in Köln (1170/80) lassen die Datierung in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts plausibel erscheinen.
Die Tesserae sind aus rotem und grünem Porphyr und verschiedenfarbigem Marmor gefertigt. Porphyr wurde nach dem Verfall des Römischen Reiches in den transalpinen Provinzen ausschließlich in Form von Spolien verwendet. Bis ins 5. Jahrhundert erfolgte der Abbau des roten Porphyrs ausschließlich am Mons Porphyrites in Ägypten, während der grüne Porphyr, auch Porfido verde antico, aus Krokeai in Lakonien, Griechenland, bezogen wurde. Im Mittelalter als Spolie wiederverwendet, findet sich das kostbare Material häufig in Kombination mit verschiedenen Sorten Marmor in der Ausgestaltung mittelalterlicher Schmuckfußböden. Neben rotem und grünem Porphyr fällt hier die Verwendung von Kalksinter auf. Dieser wurde hauptsächlich in römischen Eifel-Wasserleitung abgebaut und findet sich in einer Vielzahl von Bauzierelementen in den Kirchen des Rheinlandes. Die Farbigkeit erinnert an gelben Marmor, die Verwendung des Materials betont die Kostbarkeit und Wertigkeit des gestalteten Objektes.
Miriam Guth