Stabat mater dolorosa - Ein Kreuzweg von Hermann Gottfried in Christi Geburt, Köln-Bocklemünd-Mengenich
Mineralfarben in Freskomalerei auf Beton, 1979
Düster treten die Augen des leidenden Jesus aus dem hellen Grund auf unverputzten Beton hervor. Schemenhaft sind die Umrisse, der Körper aus blassen Flächen komponiert; um ihn herum leuchten immer wieder stark farbige Akzente auf: Violett, Orange und Grün verstärken kontrastreich auf Grisaille die Dramatik des Themas. In der Kölner Kirche Christi Geburt hat Hermann Gottfried einen Kreuzweg geschaffen, der malerisch und ausdrucksstark daherkommt; intensiv ist jede Station, die auf Augenhöhe aus der Wand vor dem Betrachter aufleuchtet. Gerade hat Jesus sein Kreuz auf sich genommen, da begegnet er seiner Mutter; von innerem Schmerz ist das Bildnis geprägt und von äußerer Distanz. Apostelleuchter und Kreuzplakette treten zwischen Maria und ihrem Sohn hervor; sie reißen sie auseinander, verstärken zusammen mit dem breiten schwarzen Balken auch optisch die Trennung, die ihnen bevorsteht. Der schwarze Balken wiederholt sich im Kreuzesbalken wenige Stationen später; hier schmiegt sich die Mutter an den Kreuzesstamm, zu Füßen ihres sterbenden Sohnes. Stabat mater dolorosa / Iuxta crucem lacrimosa (Christi Mutter stand mit Schmerzen / bei dem Kreuz und weint von Herzen) – beginnt ein mittelalterliches Gedicht, das auch heute noch beliebter Bestandteil der Liturgie – vor allem in den Kartagen – ist.
Der Kreuzweg zieht sich als langes, farbiges Band von mittlerer Höhe die gesamte Nordwand der Kirche entlang. Einzig an der Stelle, an der die Wand zum Chor hin umbricht, steigt die Malerei auf einem schmalen Streifen die Senkrechte der Wand empor. Hier wächst das Kreuz in die Höhe und über ihm reißt der Himmel auf; Engel eilen heran. Die letzten drei Stationen führen zum Chorraum hin und der Auferstandene wendet den Blick zum Altar.
In der modernen Kirche Christi Geburt, die 1965–1971 von den Hamburger Architekten Eduard Frieling und Karl Dunkelberg inmitten der neu gegründeten Wohnsiedlung Bocklemünd/Mengenich am Kölner Stadtrand gebaut wurde, prägt neben dem Kreuzweg ein weiteres monumentales Wandgemälde Hermann Gottfrieds den Kirchenraum: Auf der gewinkelt emporragenden Chorwand erheben sich die Geheimnisse des freudenreichen und des glorreichen Rosenkranzes (1981). So spannt sich der Bogen von der Verkündigung Mariens über die Geburt Jesu bis zum lehrenden Zwölfjährigen im Tempel; und weiter über Leidensgeschichte, Tod und Auferstehung bis hin zum siegreich triumphierenden Gottessohn, der zugleich seine Mutter im Himmel krönt. Der umfangreiche Bildzyklus bietet somit nicht nur eine Illustration der Menschwerdung Jesu Christi – und damit des Patroziniums der Kirche –, sondern er eröffnet den gesamten Horizont innerhalb dessen sich das christliche Heilsereignis vollzieht.
Durch die Darstellung der Heilsereignisse entlang der Rosenkranzgeheimnisse und des Kreuzweges, der wiederum die Geheimnisse des schmerzensreichen Rosenkranzes beinhaltet, verbinden sich die Bilder des Heils nicht nur mit dem liturgischen Vollzug im Kirchenraum, sondern auch mit der gelebten Frömmigkeitspraxis der Gläubigen. Als Mariengebet memorieren die Rosenkranzgeheimnisse zugleich das Leben der Gottesmutter.
Auch in der zweiten und älteren Kirche des Seelsorgebereiches Bocklemünd, in St. Johannes vor dem Lateinischen Tore, hat Hermann Gottfried einen Kreuzweg geschaffen (1972), hier jedoch als Fensterzyklus. Eindringlich leuchten die expressiven und wesentlich reduzierter figurierten Szenen in dem gedrungenen Seitenschiff der Kirche. Ob auf dem matten, rauem Grund des unverputzten Betons oder mit transluzentem Glas: der Künstler versteht es jedem Medium gemäß das Leiden und Sterben Jesu zu gestalten. So gehen Raum, Medium und Glaubensinhalt auf je spezifische Weise eine Symbiose ein, die den Gläubigen und Betrachtenden einladen, sich der christlichen Heilsbotschaft anzunähern.
Literatur/Quellen
Gottfried, Hermann: Andere Welten, Hrsg. v. Iris Nestler, Ausst.-Kat. (Deutsches Glasmalerei-Museum Linnich, 27. März – 4. Juli 2004), Linnich 2004.
Wilczek, Gerhard: Christi Geburt. Festschrift zum 25jähigen Bestehen der katholischen Pfarrgemeinde Christi Geburt Köln-Bocklemünd/Mengenich 1968–1993, Köln 1993.