Neogotik im Kleinformat: Ein Versehkreuz des Kölner Diözesanbaumeisters Vincenz Statz in St. Michael in Köln-Porz
Entwurf: Vincenz Statz, Köln
Ausführung: Franz Xaver Hellner, Kempen (?)
1857 – 1879
Silber, graviert
Höhe 16 cm
Beinahe in Vergessenheit geraten ruht in der Kirche St. Michael in Köln Porz-Eil ein Objekt, dessen Funktion den meisten auf den ersten Blick verborgen bleibt. Es handelt sich um ein kleines Versehgerät, mit dem Priester bei Besuchen Schwerkranker die Krankensalbung gespendet haben.
Die Gestaltung und der Aufbau des Versehgerätes machen es zu etwas Besonderem: Das Objekt vereint nämlich Ölgefäß und Hostienbehältnis miteinander. Das zentrale Kästchen mit der Kreuzigungsdarstellung lässt sich auf der Rückseite öffnen. Hier kann die Hostie für die Krankenkommunion eingesetzt werden. Ausgehend von dem Kästchen sind kreuzförmig drei Medaillons angebracht. Sie zeigen oben Gottvater, links die Muttergottes und rechts den hl. Joseph. Die Medaillons sind wiederum durch Strebebalken miteinander verbunden, auf denen eine lateinische Inschrift zu lesen ist: Ecce panis / angelorum / factus cibus / viatorum (übersetzt: „Siehe, das Brot der Engel, das den Wandernden zur Speise geworden ist.“). Unterhalb des Kreuzes ist der Sockel als Turm ausgebildet. Das Vasum sacrum (lat. „Heiliges Gefäß“) spiegelt die neogotische Architektur sakraler Bauten in ihrer Konstruktion und Gestaltung wider. Zu sehen sind drei Füße mit dreipassförmigen Aussparungen. Die Turmspitze ist von Zinnen umgeben und kleine Voluten an den Seiten stützen die Balken mit der Inschrift. Auch der Turm kann geöffnet werden, wenn der kleine Schlüssel an der Seite aus dem Scharnier genommen wird. In diesem Behältnis konnte das Krankenöl, das oleum infirminorum, aufbewahrt werden.
Wie Hildegard Lütkenhaus anschaulich herausgearbeitet hat, gibt es neben dem Objekt in St. Michael noch weitere Versehkreuze, die sich in Gestaltung und Aufbau so ähneln, dass eine Verwandtschaft nicht auszuschließen ist. Eines dieser Objekte befindet sich in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln (Inv. Nr. G 27, Leihgabe der Kirchengemeinde St. Clemens, Grevenbroich-Kapellen), ein weiteres im Museum für Niederrheinische Sakralkunst in Kempen (Inv. Nr. L66). Zwar unterscheiden sich die Versehgeräte in Details, wie der Form des Hostienbehältnisses oder der Ausgestaltung des Turmes, gemein ist ihnen jedoch die Verbindung von Turm und kreuzförmigem Aufbau mit einer Kreuzigungsdarstellung auf dem zentralen Behältnis. Alle Versehkreuze gehen auf einen Entwurf zurück: eine Zeichnung von Vincenz Statz, die 1857 in der Zeitschrift ‚Organ für christliche Kunst‘ veröffentlicht wurde (s. Abb. 3).
Vincenz Statz war ein deutscher Architekt, der von 1819 bis 1898 in Köln lebte und arbeitete. Statz war Schüler des Architekten Karl Friedrich Schinkel und ab 1845 auch als Werkmeister in der Kölner Dombauhütte tätig. 1863 wurde er zum Diözesanbaumeister ernannt. Er gilt als einer der Hauptvertreter der Neugotik im Rheinland und ist für zahlreiche Bauten bekannt, so beispielsweise für die Pfarrkirche St. Johann Baptist in Bergisch Gladbach-Refrath, die Mauritiuskirche in Köln oder St. Martinus in Dormagen-Zons. Neben rund 150 Kirchen und vielen anderen Bauprojekten entwarf Statz auch Pläne für Kanzeln, Altäre oder kleinere Ausstattungsstücke wie Kelche, oder, wie in diesem Fall, für Versehgeräte. Die Vorliebe des Kölners für die gotische Baukunst wird in all seinen Werken deutlich.
Anhand der Entwurfszeichnung von Statz lässt sich erkennen, dass das Versehkreuz von St. Michael dem ursprünglichen Entwurf recht nahe geblieben ist. Zwar ist der turmförmige Behälter etwas gedrungener, es fehlen die dreipassförmigen Ausstanzungen in den Füßen und das Hostienbehältnis ist nicht rund, sondern eckig geformt, doch überwiegen die Ähnlichkeiten deutlich. Die Autorenschaft von Vincenz Statz kann daher als gesichert gelten. Das genaue Entstehungsjahr des Objektes lässt sich hingegen nicht eindeutig bestimmen. Ebenso wenig, welcher Silberschmied den Statz’schen Entwurf schließlich ausführte. Das verwandte Versehgerät aus dem Museum für Niederrheinische Sakralkunst wurde zumindest von Franz Xaver Hellner gefertigt. Der Kempener Goldschmied führte in den 1860er und 1870er Jahren mehrere Objekte nach Zeichnungen von Statz aus, sodass auch das Versehkreuz in St. Michael von ihm stammen könnte. Da aber keine Punzen oder Marken auf dem Objekt auszumachen sind und in der konsultierten Literatur das Versehkreuz aus Porz nicht explizit als Hellners Werk aufgelistet ist, bleibt am Ende doch ein kleines Fragezeichen.