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Service

Mit Faden gezeichnet - Ein Andachtsbild von Lotte Bach in Herz Jesu in Bonn-Bad Godesberg

Marienbild, gesamt
Datum:
1. Dez. 2023
Objekt des Monats – Dezember 2023

Lotte Bach (1908-1995)
Maria mit Kind
Webstoff (Leinen), Garn, gestickt
1944-1953

Versteckt in einem Sakristei-Anraum der Kirche Herz Jesu im Bonner Villenviertel fand sich ein Kleinod der Textilkunst aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: Eine auf grauem Leinengewebe mit weißem Faden in zarten Stichen ausgeführte Darstellung Mariens mit dem Jesuskind. Angebracht an der Rückwand eines Schrankes, hinter gesprungenem Glas und von einer dicken Staubschicht bedeckt, war es aus dem Blick und in Vergessenheit geraten. 

Maria, mit großen mandelförmigen Augen und feinen Zügen, ist darauf als Halbfigur bis zur Hüfte wiedergegeben. Ihren schlanken Körper umspielt ein Kleid mit langen, weiten Ärmeln, über dem offenen Haar trägt sie einen kurzen Schleier, der ihren Oberkopf eng umschließt. Diesen wiederum hinterfängt ein Nimbus mit gezackter Kontur. In ihrer linken Hand hält sie ein filigranes, profiliertes Zepter. Auf ihrem rechten Arm sitzt aufrecht das Jesuskind mit kreisrundem Nimbus, in langem Gewand, dem sie sich liebevoll zuwendet. In seiner rechten Hand eine Sphaira – den Reichsapfel − haltend, umfasst es mit der linken sanft das Marienzepter. Seine hohe runde Stirn konturieren schlaufenförmige Locken, mit großen sanften Augen blickt es dem Betrachter entgegen. Umfangen werden beide von einem linearen Binnenrahmen mit gezackten Akzenten.

In der Reduziertheit dieses kleinen Bildes, das gerade einmal 30 x 17 cm misst, liegt große Kraft: Einfarbig, in einheitlicher Garnstärke, ohne Applikation von Borten, Perlen oder Japangold, konzentriert es den Blick sogleich auf das Motiv der Madonna und die Kunstfertigkeit seiner Ausführung.

Aus einem zarten weißen Faden, der sich fast ohne Überschneidungen frei über den Leinengrund bewegt, entsteht durch prägnant gesetzte Stiche eine Zeichnung feinster Struktur. Der gekonnte Einsatz unterschiedlicher Stichmuster evoziert differenzierte Stofflichkeit. Das Rautennetz, das Mariens Kleid überzieht, lässt an ein gestepptes Gewand denken, der enge Schlaufenstich an Halssaum und Taille erinnert an gewebte Borten, während die Ärmelinnenseite durch eine Schraffur schattiert wird. Die parallel laufenden langen Fäden des Gewandes des Jesuskindes sind eng gesetzt ohne sich zu berühren und lassen an ein Gewebe mit Rippenmuster denken. Besondere Tiefenwirkung wird durch die in dichten Spiralen gestickten Augen deutlich, die durch den Abstand der Fäden lebendige Reflexe und Blickrichtungen vorgeben. 
Die besondere Finesse dieser Arbeit zeigt sich nicht zuletzt in dem Gefühl von Zartheit und Leichtigkeit, das die gesamte Arbeit ausstrahlt. In sanftem Schwung verlaufende Linien deuten Bewegung an, die Dominanz freier gegenüber gefüllter Flächen in Kombination mit Konturen aus hauchdünnem Garn, bewirkt insgesamt eine fragile Erscheinung. Die Komposition der einander zugewandten Körperhaltungen, der sich hinterschneidenden Nimben und die behutsame Art wie sich der Arm Mariens um Jesus legt, verbildlicht die vertrauliche Nähe der jungen Gottesmutter zu ihrem Kind. Es ist ein großes Kunstwerk auf kleinstem Raum.

Geschaffen wurde es, wie uns die eingestickte Signatur LB am rechten Bildrand sowie eine mit Bleistift handschriftlich in markanten Großbuchstaben verfasste Aufschrift verraten, von: LOTTE BACH / HAUS KÜCKELING / BEI APPELHÜLSEN / WESTF.

Lotte Bach war eine der renommiertesten Textilkünstlerinnen der späten Kunstgewerbe-Bewegung, sie war Lehrbeauftragte an der Fachschule für Kunsthandwerk der pädagogischen Hochschule Münster und Trägerin der Paulusplakette des Bistum Münster. Sie lebte und arbeitete seit 1953 in Schapdetten (Kreis Coesfeld). Bis ins hohe Alter schuf sie zahlreiche Paramente, liturgische Gewänder und Andachtsbilder, darunter 15 großformatige Hunger- bzw. Fastentücher.

1908 in Schwerte geboren, ist sie die jüngste von fünf Schwestern. Um den Mädchen eine sehr gute Schulbildung ermöglichen zu können, zieht die Familie 1912 nach Münster. Den Eltern ist es wichtig, dem Wesen ihrer Töchter gerecht zu werden und diese nach ihren eigenen Interessen und Neigungen individuell zu fördern. An der „Städtischen Schule für Handwerk und Kunstgewerbe“ (Werkkunstschule) in Münster beginnt Lotte Bach 1926 in der Klasse von Professor Joos Jaspers ihre Ausbildung zur Stickerin und Paramentikerin. Der Unterricht bei Jaspers ist anspruchsvoll und von einer starken Gewichtung der Arbeit am Entwurf gekennzeichnet, die unzählige Varianten denkbarer Farb- und Formmöglichkeiten durchspielt und verwirft, ehe es überhaupt zur Ausführung des Werkes kommt. Der Lehrplan erweitert sich mit dem Beitritt der Textilkünstlerin Hanne-Nüte Kämmerers zum Dozentenkollegium im Jahr 1928. Von nun an stehen die differenzierte technische Umsetzung und die gestalterischen Möglichkeiten verschiedener Sticktechniken, der Einsatz von Stichformen und die Bildung von Oberflächenstrukturen ergänzend im Fokus. Inhaltlich wecken sakrale Themen früh Lotte Bachs Interesse. Mit besonderer Erlaubnis dürfen sie und ihre Kommilitoninnen Hildegard Fischer und Edith Ostenhof, die kunsthistorischen Vorlesungen Professor Hölkers für Priesteramtskandidaten an der Universität besuchen. Während ihrer Ausbildungszeit in Münster studiert Lotte Bach ab 1929 zudem einige Semester an den Kölner Werkkunstschulen in der Klasse von Ferdinand Nigg. Den Studierenden stehen hier alle Werkstätten und Klassen zum Austausch offen, darunter auch das seit 1926 integrierte Institut für religiöse Kunst, was ihnen einen umfassenden Einblick in den gesamten Fachbereich ermöglicht.
Nach Abschluss ihrer Ausbildung im Jahr 1932 richtet sich Lotte Bach ein Atelier im Haus ihrer älteren Schwester Ursula Bach-Wild in Münster ein, die dort als Goldschmiedin und Ziseliermeisterin arbeitet und eine Werkstatt mit Ladenlokal unterhält. Als 1944 die Lage in Münster aufgrund des Krieges zunehmend schwierig wird, ziehen die Schwestern auf das (1972 abgebrochene) Wasserschloss Haus Kückeling in Appelhülsen. Hier entsteht das uns vorliegende Andachtsbild. 

Es ist ein großer Glücksfall, dass sich auf diesem Werk, einem Bild der privaten Andacht, eine Künstlersignatur befindet, ja, dass es sich überhaupt erhalten hat. Der Aufbewahrungsort zeigt, was Werken der Textilkunst leider häufig widerfährt: allzu oft werden sie vergessen oder aussortiert. Hinzu kommt, dass sie – nicht zuletzt aufgrund ihrer Materialität (meist Faden und Gewebe aus Naturfasern) – aber auch durch die praktische Benutzung und damit einhergehende Berührung besonders gefährdet sind. Eine Zuordnung wird, falls der künstlerische Wert erkannt wird, außerdem häufig durch fehlende Signaturen erschwert. Gerade darum, weil sie so oft und leicht aus dem Fokus geraten, verdienen die textilen Kunst- und Bildwerke ganz besonders unsere Aufmerksamkeit.

Silke Ingenhorst

 

Literatur:

Sabine Heitmyer-Löhns: Lotte Bach. Textiles Kunsthandwerk aus sechs Jahrzehnten, Vreden 1992.

 

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