Innige Liebe und folgenschwerer Verrat. Das Letzte Abendmahl in St. Katharina in Köln-Niehl
Um 1430
Holz, geschnitzt, polychrom gefasst, teilw. vergoldet
Höhe 52 cm, Breite 150 cm, Tiefe 37,5 cm
Provenienz: Alt St. Katharina (sog. Niehler Dömchen)
Er kann den Blick nicht von ihm lassen: sehnsüchtig schaut der junge Johannes Jesus an, der neben ihm am Tisch beim Abendmahl sitzt. Den Kopf vertrauensvoll auf den Arm des neben ihm sitzenden Apostels gelegt, harrt der Lieblingsjünger betrachtend aus als wolle er jede Minute an der Seite des Herrn auskosten bevor die angekündigten Ereignisse ihren Lauf nehmen. „Herr, wer ist es?“ fragt er Jesus (Joh 13,25), wer ist es, der dich verraten wird? „Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde“ (Joh 13,26). Jesus hält den Kelch fest umgriffen in der rechten Hand, die andere ruht auf der Tischplatte. Er hat Brot und Wein bereits gereicht mit dem Auftrag, es ihm zu seinem Gedächtnis künftig gleich zu tun (vgl. Lk 22,19); die Apostel, die mit an der langen Tafel sitzen, sind beim Essen, Trinken und Reden. Der Blick Jesu schweift in die Ferne, innerlich gerichtet auf den Vater und das, was kommen wird. Im Kelch, den er zusammen mit dem Brot den Jüngern dargeboten hat, kündigt sich zugleich der bittere Kelch an, von dem verschont zu werden Jesus seinen Vater in der folgenden Nacht im Garten Getsemani bitten wird (vgl. Mk 14,36). Doch es ist unausweichlich. Judas, der das eingetauchte Brot von Jesus bekommen hat, dominiert deutlich im Bildvordergrund die Darstellung. Der Verrat, der zur Verhaftung und damit zur Leidensgeschichte Jesu führen wird, bestimmt das Geschehen. Während die übrigen Apostel einträchtig hinter dem Tisch zusammensitzen, hat sich Judas von der Tischgemeinschaft abgewandt. Er beugt sich herab, in der Hand das Geldsäckchen mit den Silberlingen, die er als Lohn für seine Tat bereits erhalten hat (vgl. Mt 26,14–16).
Das lebendig erzählende Niehler Schnitzwerk ist eine der seltenen vollplastischen Darstellungen dieser vielfigurigen Szene aus spätgotischer Zeit im Rheinland und stammt wohl ursprünglich aus der Predella eines Altarretabels. Sie führt in ihrer raumgreifenden Gestaltung den Betrachter unmittelbar hinein in das Abendmahlsgeschehen „in der Nacht da Jesus verraten wurde“. Die figurierte Einsetzung der Eucharistie ereignet sich in der Spannung von liebender Gemeinschaft und angebrochener Passion und nimmt so das Erlösungsgeschehen am Kreuz bereits vorweg. Die Verortung des Objektes im Kirchenraum in unmittelbarer Nähe zum Altar stellt den Bezug her zur stets zu erneuernden sakramentalen Feier der Eucharistie, die als Danksagung und Herz der Kirche bis zur Wiederkunft des Herrn das heilige Opfer vergegenwärtigt.
Anja Becker-Chouati