In Bewegung. Eine Monstranz von Friedrich Becker in St. Elisabeth in Düsseldorf-Reisholz
1958
Friedrich Becker, Düsseldorf (sign.)
Silber (835), Onyx, Bergkristall, vergoldet, getrieben
St. Elisabeth, Düsseldorf-Reisholz
Auf flachem, scheibenförmigem Fuß in polierter Oberfläche erhebt sich ein sehr schlanker, konisch zulaufender Schaft mit rundem Schaugefäß aus klarem Bergkristall in schmaler, goldener Rahmung. Seitlich des Schaftes treten vier horizontale Achsen mit zahlreichen segelförmig aufgetieften Elementen in ansteigendem Größenverlauf wie gespannte und zum Emporschwingen bereite Flügelpaare aus der Hauptachse der Monstranz. Kleine runde Onyxcabochons an den Achsenenden sowie zwei zapfenförmige Onyxe am Schaftansatz bilden in zurückhaltender Größe und tiefschwarzer Farbigkeit den akzentuierenden Edelsteinbesatz.
Statisch, prägnant, nüchtern - vielleicht auch streng, puristisch - und gleichzeitig dynamisch, bewegt, oszillierend. Mit diesem Spektrum an Eindrücken reiht sich die Monstranz aus St. Elisabeth in Düsseldorf-Reisholz, die anlässlich des silbernen Priesterjubiläum von Pfarrer Johannes Korfmacher in Auftrag gegeben wurde, in das Frühwerk Friedrich Beckers, einem der bedeutendsten Vertreter und wegweisendem Gestalter zeitgenössischer Goldschmiedekunst des 20. Jahrhunderts.
Zu dieser kommt Friedrich Becker (1922-1997) über einen Umweg, wenngleich die Affinität zum Werkstoff Metall schon früh anklingt, vielleicht auch geprägt durch die Arbeit seines Vaters, einem gelernten Kunstschmied. 1936 beginnt Becker seine Profession mit einer Lehre zum Maschinenbauer, an die er ein Studium zum Ingenieur der Luftfahrttechnik anschließt. Als ihm aufgrund einer Kriegsverletzung jedoch eine sitzende Tätigkeit nahegelegt wird, entscheidet er sich zu einer Lehre als Goldschmied. 1948 besteht er die Gesellenprüfung. Ab 1949 studiert er bei Karl Schollmayer an der Werkkunstschule in Düsseldorf, die er 1951 mit Auszeichnung abschließt. Kurz darauf absolviert er seine Meisterprüfung, gründet eine Werkstatt in Düsseldorf und beginnt seine Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Werkkunstschule, an der er später zum Professor ernannt wird.
Seine Arbeiten bestechen durch innovative, technisierte Entwürfe und absolute Präzision in der Ausführung. Mit Friedrich Becker hält Veränderung, hält Bewegung – insbesondere die Kinetik – Einzug in den zeitgenössischen Schmuck. Ab den 1960er Jahren entwickelt er minimalistische Schmuckstücke nüchterner Formensprache mit gegenläufigen Achsen und Kugellagern, die im Tragen unentwegt ihre Form verändern, die den Körper umspielen, die selbst zu Akteuren werden. „Nennen sie diese Dinge ruhig Konstruktionen. Sie sollen nicht geschmückte Formen an sich sein, sondern dann schmücken, wenn sie getragen werden." (Friedrich Becker, 1974)
Es folgen kinetische Großobjekte, wie der variable Brunnen des Messegeländes Hannover (1964) oder die 22 Meter hohe Wellenkinetik (1976/78) für die Albrecht-Dürer-Schule in Düsseldorf. Für die Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens entwirft Becker 1958 die Amtskette des Oberbürgermeisters sowie 1960 den ikonischen Radschläger als Türgriff für die Stiftskirche St. Lambertus. Eine Plastik des Radschlägers, die Becker für die Düsseldorfer Kaimauer entworfen hatte, wurde 2022 auf dem Campus der Hochschule Düsseldorf realisiert. Becker fertigt gleichsam Objekte aus den Bereichen Schmuck und Gerät, wie es in seiner Generation der Goldschmiede, fern der heutigen Spezialisierung in Gold- und Silberschmiede, üblich ist. Auch das von ihm entworfene sakrale Gerät sollte sich nicht in dekorativen Stilformen verlieren, sondern das Wesen der christlichen Botschaft selbst vermitteln, erneuert in der Formensprache seiner Zeit.
Bereits in der 1958 entstandenen Monstranz von St. Elisabeth in Reisholz sind die Hauptthemen in Beckers Werk, die intensive Beschäftigung mit Bewegung und der Verzicht auf rein Dekoratives, deutlich zu erkennen. Zwar bewegt sich die Monstranz nicht im eigentlichen Sinne, wie es seine späteren kinetischen Arbeiten aus dem Schmuckbereich tun, doch deutet sich in ihr Bewegung optisch erfahrbar an. Der filigrane, sich nach oben verjüngende Schaft und das klare, schmal gerahmte Schaugefäß vermitteln große Leichtigkeit. Die dazu kontrastierend eher dicht gearbeiteten Flügelpaare wirken mit ihren gestaffelten, gespannten Segmenten jedoch keinesfalls massig, sondern aufgrund des sich auf ihnen ergebenden, differenzierten Lichtspiels durchlässig und schwingend. Besonders verstärkt sich dieser Eindruck, wenn die Monstranz tatsächlich in Bewegung gerät, was bei der Prozession zu Fronleichnam der Fall ist, wenn der Priester sie im schreitenden Zug der Gemeinde mitführt und präsentiert.
Hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt in Beckers ganzheitlicher Herangehensweise mit der er seine Objekte überlegt und in funktionaler wie technischer Klarheit konstruiert. So ist die Monstranz nicht zu schwer, und durch den Abstand des Schaftes zu Fuß und horizontalem Flügelarmen nicht zu kurz, als dass man sie umfassen und tragen kann. Die kleinen Onyxriegel am Schaftansatz sind in ihrer speziellen Schliffform vermutlich auch eher helfender Ankerpunkt für einen sicheren Griff, als rein dekoratives Merkmal. Zur Anbetung ausgestellt, betont der schlanke Hals der Monstranz das erhabene Schaugefäß mit deutlichem Fokus auf das Allerheiligste und mit diesem die bleibende Gegenwart des menschgewordenen Christus. Ihre Gestalt lässt in klarer werkgerechter Komposition etwas emporsteigend Bewegtes, Wandelhaftes, die Ahnung von der Präsenz eines himmlischen Wesens anklingen, die im Fronleichnamsfest zum vieldimensionalen, sinnlich erfahrbaren Zeichen, zum Bewusstsein von Permanenz und Bewegung wird. „Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Es ist nicht wie das Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,58)
Silke Ingenhorst