Gott zu Gast bei Abraham und Sara – Der Tabernakel in St. Joseph in Velbert
Hanns Rheindorf, Köln, 1955
Silber, gegossen, getrieben; Email
Der Tabernakel ist der Aufbewahrungsort für die in der Eucharistiefeier konsekrierten Hostien, die nach katholischer Lehre Leib Christi sind und bleiben. Daher bildet der Tabernakel den Mittelpunkt einer jeden katholischen Kirche und ist außerhalb der Messfeiern ein Ort ständiger stiller Anbetung. Der herausgehobenen Bedeutung des Tabernakels entspricht seine besondere Gestaltung, z.B. als Sakramentshaus, als Stele oder als massiver Tresor.
Der Tabernakel der Kirche St. Joseph in Velbert steht auf einem steinernen Unterbau und ist aufwendig gearbeitet. Er wird von einem später hinzugefügten, kunstvoll gearbeiteten, an eine Dornenhecke erinnernden filigranen Bronzegitter geschützt, welches mit zahlreichen Bergkristallen besetzt ist und an die Begegnung Mose mit Gott im brennenden Dornbusch erinnert (Ex 3,1−4,17). Das Gitter wirkt auf den ersten Blick abweisend, lässt sich aber öffnen und erlaubt auch in geschlossenem Zustand stets einen ungehinderten Blick auf die halbrunde Vorderseite des Tabernakels. Diese ist mit Emails geschmückt, die eine der bedeutendsten Szenen aus dem Alten Testament zeigen, die sog. „Philoxenie des Abraham“. Das schöne und anschauliche griechische Wort „philoxenia“ bedeutet übersetzt „Fremdenliebe“, im weiteren Sinn „Gastfreundschaft“. Und genau darum geht es hier: Dargestellt ist die Begegnung des Herrn mit Abraham und Sara, den Erzeltern des Volkes Israel, im Eichenhain von Mamre (bei Hebron), wie sie im ersten Buch der Bibel (Gen 18,1−16) ausführlich geschildert wird.
Gott erscheint hier Abraham in Gestalt dreier Männer, die von ihm vor seinem Zelt zu einem reichen Mahl geladen und bedient werden. Neben Brotfladen, Butter und Milch tischt Abraham sogar ein gemästetes Kalb auf – eine kulinarische Kostbarkeit! Von den Speisen essen jedoch weder Sara, die das Brot zubereitet hat, noch Abraham selbst etwas, sondern alles ist für die fremden Männer bestimmt, um sie damit besonders zu ehren und ein Beispiel für Nächstenliebe zu geben.
Anders aber als in der biblischen Überlieferung, nach der Sara das Geschehen vom Zelt aus verfolgt, ist sie in der Darstellung auf dem Tabernakel an der Bewirtung der drei Männer unmittelbar beteiligt. Dieser Sara, wie ihr Mann bereits hochbetagt, sagen nun die drei Männer die Geburt eines Sohnes (Isaak) voraus, was diese aber nicht glauben kann, sondern darüber „[…] still in sich hinein (lacht)“ (Gen 18,12). Interessant ist hier die Parallele zur Verkündigung an Maria mit der dortigen Erwähnung der ebenfalls hochbetagten, aber dennoch schwangeren Elisabeth (Lk 1,36/37). In beiden Testamenten fällt dann einer der wichtigsten Sätze der Bibel. Beim Evangelisten Lukas heißt es: „Denn für Gott ist nichts unmöglich“ (Lk 1,37). Die drei Männer in Mamre sagen zu Abraham und Sara etwas Ähnliches: „Ist denn beim Herrn etwas unmöglich?“ (Gen 18,14).
Aber wer oder was sind denn nun eigentlich diese drei Männer? Oft werden sie als Engel bezeichnet oder als Verkörperung der göttlichen Dreifaltigkeit interpretiert. Da es sich in St. Joseph um die Darstellung auf einem Tabernakel handelt, liegt eine eucharistische Deutung nahe: Gott (in Gestalt der drei Männer) nimmt das Mahl der Menschen an. Er wiederum schenkt ihnen das neue, heilige Mahl (die Eucharistie), durch das sie einen Anteil an ihm haben. Dafür stehen die drei Kelche und das Opferlamm auf der Tischplatte.
Mit der Wahl des Motivs der „Philoxenie des Abraham“ für den Tabernakel gelang es dem Bildhauer, Maler, Emailkünstler und Goldschmied Hanns Rheindorf, einen künstlerisch überzeugenden Ort der Gottesbegegnung zu gestalten.