Gestickte Kontemplation zum Weihnachtsfest – eine Bursa von Ferdinand Nigg und Irma Goede in St. Gereon, Köln
Bursa mit Kreuzstichstickerei
um 1930
Ferdinand Nigg (Entwurf), Irma Goede (Ausführung), Köln
Bestandteil eines Ornats bestehend aus Kasel, Stola und Velum[i]
„Die Tätigkeit der fast lautlosen Nadelarbeit kommt jener christlichen Meditationshaltung nahe, die sich das Herzensgebet nennt. Einfach und wiederholbar. Stich um Stich. Raum und Zeit strukturieren sich. Aktion und Kontemplation verschmelzen.“[ii]- Evi Kliemand
Die Erfassung des kirchlichen Kunstgutes in den Kirchen, Kapellen und Sakristeien des Erzbistums Köln ist in vielerlei Hinsicht bereichernd. Die Dokumentation vor Ort erfordert allerdings auch ein hohes Maß an Präzision, Schnelligkeit und die Fähigkeit den unterschiedlichsten Objekten liturgischer und kunsthistorischer Bedeutung werkimmanente Informationen abzulesen, diese zu dokumentieren und sich dabei stets einen ruhigen und gewissenhaften Umgang mit ihnen zu bewahren.
Umso erstaunlicher ist es, dass man von der Wirkung eines Objekts der unscheinbaren Größe von 20cm x 20cm unvermittelt eingenommen werden kann und erlebt, was das oben angeführte Zitat bereits vorwegnimmt: Gestickte Kontemplation – Innehalten, Betrachten, Erkennen.
Anlass dieses unvermittelten Innehaltens gab eine Bursa mit Kreuzstichstickerei, das Herannahen und die Anbetung der Heiligen Drei Könige darstellend. Die Bursa, ein Parament[iii] in Form einer kleinen Tasche, in der das Korporale während der Heiligen Messe aufbewahrt wird (sozusagen ein Gebrauchsgegenstand der Liturgie), wird zum Gegenstand der Kontemplation. Doch auf welche Weise? Zum einen durch das Motiv des Dargestellten, die Erscheinung des Herrn, der Epiphanie, die wir am 6. Januar feiern. Zum anderen durch die Art und Weise der Darstellung, die künstlerische Sprache, verwirklicht im handwerklichen Medium der Stickerei.[iv]
Die Bursa, als Teil eines vorhandenen Ornates, zeigt eine polychrome Stickerei mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige vor Maria mit dem Jesuskind – neugierig, staunend, ehrfürchtig. Der Bildausschnitt konzentriert sich auf dieses intime Geschehen: kein Ochs, kein Esel, noch Joseph sind sichtbar; keine Gesichtszüge erkennbar, die Körperhaltungen starr, die Komposition streng. Das Motiv ist im Inbegriff von Abstraktion und Auflösung in die Flächigkeit[v], dennoch gut sichtbar abgegrenzt durch die Quadratur der Kreuzstiche und den Kontrast der Farben. Nach längerer Betrachtung aber werden Abweichungen deutlich, Bewegungen sichtbar: Oberhalb der Könige leuchtet der Stern von Bethlehem vor linearem Hintergrund, der die Richtung weist; über Maria hingegen ein zentralisierendes Karomuster, das in seiner Farbgebung wiederum dem Mantel des äußersten Königs entspricht. Die Durchmusterung der Königsmäntel lässt diese miteinander verschwimmen, zugleich ist jener König am Bildrand im Dreiviertelprofil gedreht, wodurch er die Haltung Mariens aufgreift. Diese sitzt erhöht auf einem Thron, bedeutungshoch, das Kind auf ihrem Schoß. Die Könige bilden eine Gruppe, Maria wiederum eine eigene: Gemeinsam bilden sie den Rahmen, der den Heiland, mit seinem goldenen Haar und seinem leuchtenden Inkarnat im Mittelpunkt von Anbetung und Betrachtung, schützend umfasst.[vi] Hinter ihm öffnet sich ein dunkles Feld mit roten Kreuzen – Kreuzstiche – Hinweis auf den nahenden Opfertod: Krippe und Kreuz, die Menschwerdung Gottes auf Erden und das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz, Anfang und Ende im Nadelspiel erzählt.[vii]
Zu Ferdinand Nigg
Der Künstler Ferdinand Nigg (geb. 1865 Vaduz, Fürstentum Liechtenstein – gest. 1949 ebd.) zählt zu den großen Reformern kirchlicher Paramentik der Moderne, die er insbesondere während seiner Professur von 1912 bis 1931 an den Kölner Werkschulen, wie die 1895 gegründete Kunstgewerbe- und Handwerkerschule seit 1926/28 hieß, und darüber hinaus prägte. Vorangehend war seine Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg, wo er bereits an der Gründung einer Spezialklasse für Handweberei und Stickerei beteiligt war und den Kreuzstich in seinem Textilwerk stilbildend betrieb.[viii]
Der Kreuzstich – in seiner Form selbst ein kleines Kreuz bildend – galt als „Stiefkind der Werkkunstbewegung“[ix], als zu volkstümlich und gänzlich ungeeignet zur Reformierung. Sogleich Ferdinand Nigg sich der Paramentik, der textilen Objekte für den liturgischen Gebrauch, und ihrer Neubelebung und –beseelung widmete, sogleich reformierte er diese Technik, die sich durch ihren Meditationscharakter, ihre Sensationslosigkeit und Vollkommenheit sogar ganz besonders für dieses religiöse Spezialgebiet innerhalb der Textilgestaltung eignete.[x] „In Köln beginnt Niggs bildnerische Auseinandersetzung mit der religiösen Thematik, der er sich nach dem Ersten Weltkrieg im Textil wie in der Malerei fast ausschließlich widmet.“[xi]
Ferdinand Nigg galt als ausgezeichneter Pädagoge, der vielfach für seine schulbildende Lehre Anerkennung fand. Obwohl er selbst ein ausgezeichneter Kunsthandwerker war, der „das sehr aufwendige, zeitraubende Sticken (…) kaum anderen überlassen (hat)“[xii], übertrug er schon in Magdeburg und letztlich in Köln zunehmend öffentliche Aufträge – und insbesondere deren künstlerische Ausführung - an seine Schüler und Schülerinnen.[xiii] Darunter Irma Goede, die zu einer der wichtigsten Schülerinnen Niggs zählt, über die jedoch kaum detaillierte biographische Angaben oder weitere Paramente bekannt sind.[xiv] Der Entwurf der vorliegenden Bursa, und das des zugehörigen Ornates, ist Nigg zugeschrieben, während Irma Goede die Ausführung übernahm.[xv]
Eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit und Verbreitung erhielt die moderne Paramentik im Rheinland seit dem Jahr 1926. Die Kölner Werkschulen, nun unter dem Direktorat von Richard Riemerschmid, gingen eine Verbindung mit dem 1919 von Fritz Witte am Museum Schnütgen gegründeten Institut für religiöse Kunst ein. Die Angliederung an die Kölner Werkschulen, unter künstlerischer Leitung des Architekten Dominikus Böhm und dem geistlichen sowie organisatorischen Mentorat Hubert Jakob Eschweilers, warb gezielt öffentliche Aufträge für kirchliche Kunst ein, wodurch Auftragsvermittlung und Ausführung zur synergetischen Einheit verschmolzen. Die Reformierung der kirchlichen Kunst fußte damals auf den Ideen des Deutschen Werkbundes (gegr. 1907 in München) und ihrer durch die Mitarbeit des Künstlers angestrebten Reform der angewandten Kunst. Doch war es nicht zuletzt die Forderung nach Verschmelzung von Gebrauchsform und dem Geistigen in der Kunst, welche der Reformbewegung der kirchlichen Kunst in ihrem Bestreben nach neuen intensiven, religiösen Erlebnissen sehr entgegenkam. Mit Anschluss des Instituts für religiöse Kunst an die Kölner Werkschulen wurde dann unter Ferdinand Nigg eine Fachklasse für Paramentik gegründet, ein Novum und Alleinstellungsmerkmal innerhalb der deutschen Werkschulen jener Zeit.
Stefanie Schirrmeister
So neigt sich ein Jahr voller Kirchen und Kunst langsam dem Ende zu.
Das Projekt Inventarisierung im Erzbistum Köln wünscht Ihnen ein frohes und besonders gesegnetes Weihnachtsfest, Zeit zum Innehalten, Besinnlichkeit im Kreis Ihrer Liebsten
und alles Gute für das kommende, neue Jahr.