„Engel sind gesandt.“ Ein Wandbehang mit Seraph von Helly Driessen in St. Marien in Ratingen-Tiefenbroich
Wandbehang mit Seraph
Helly Driessen, Jüchen, 1962
Gold-, Silber-, Seiden- und Wollstickerei auf Seide, schwarze Perlen, Silberpailletten
187 x 97 cm
Engel
was ich empfange
ist gesandt;
es zu verstehen –
nicht genannt −
wellen tragen
kein gewand.
Engel sind gesandt. [1]
Diese Zeilen verfasste die Textilkünstlerin Helly Driessen (1910−2006) 1995 zu einem Thema, das in ihrer Kunst wiederkehrend eine große Rolle spielte. Geboren auf Schloss Dyck bei Jüchen − ihr Vater war dort Haushofmeister der Fürsten zu Salm Reifferscheidt − lebte und arbeitete sie bis 1987. 1927/29 lernte sie an der Staatlichen Handels- und Gewerbeschulde in Rheydt die ersten Grundlagen. Im Anschluss studierte sie als eine der ersten Schülerinnen an der Fachschule für Textilkunst in Bonn, die 1929 von der Textilkünstlerin Ella Brösch gegründet worden war. Eindrücke und Erfahrung sammelte sie schließlich auch an der Fachschule für Textilindustrie in Krefeld in der Klasse für künstlerische Web- und Druckgestaltung, die seit 1938 von Gerhard Kadow geleitet wurde, der später an der Werkkunstschule in Krefeld und schließlich ab 1967 als Professor an den Kölner Werkschulen lehrte. Nach ihrer Meisterprüfung in Paramentik richtete Helly Driessen in der Vorburg von Schloss Dyck ein Atelier für Textilkunst ein, in dem sie Zeit ihres Schaffens arbeitete. Schon früh beteiligte sie sich an Ausstellungen christlicher Kunst, u.a. den Ars sacra-Ausstellungen zur Förderung neuer christlicher Kunst in der Nachkriegszeit.
Besonderen Einfluss auf ihre Motive und Ornamente hatte der 1796 angelegte Botanische Garten von Schloss Dyck, das Blatt des Ginkgos wurde für Driessen zu einer Art Signet. Vermittelt durch die Fürstenfamilie gelangte Helly Driessen früh an bedeutende Aufträge, darunter 1956 ein rotes Pontifikalornat für die Dormitio Abtei in Jerusalem für den Deutschen Verein vom Heiligen Land.
Engel haben Driessen immer wieder beschäftigt, ihre Darstellungen finden sich zahlreich in ihren Werken. Linien und Formen fließen zu monumentalen, eindrucksvollen Figuren zusammen, ihre Kontur bot sich zur Abstraktion gewissermaßen an. Gleiches gilt für Driessens spirituell sehr eindrückliche Darstellungen der Muttergottes mit Kind. Ihre aus kraftvollen Linien gebildeten Figuren heben sich kaum vom Hintergrund ab – auch der Ratinger Behang zeigt dieses Ineinanderfließen der Linien, aus denen sich schließlich der Engel im prachtvollen Flügelgewand mit sogenannten Pfauenaugen herausbildet, die rechte Hand mahnend erhoben. Die Seraphim werden bei Jesaja (6,2) als Engel mit drei Flügelpaaren beschrieben. Mit je einem Flügelpaar bedecken sie als Zeichen der Ehrfurcht ihr Gesicht und als Zeichen der Demut ihre Füße, mit einem fliegen sie.
Helly Driessen schuf vor allem Ornate, Wandbehänge und Andachtsstolen, Werke von großer Ausdruckskraft, die vor allem durch die vermeintliche Einfachheit der Linienfindung entstanden. Dabei sind ihre Arbeiten geprägt von einer Zeit, in der spätestens nach der Einrichtung der Fachklasse für Paramentik 1926 unter Ferdinand Nigg an den Kölner Werkschulen die sakrale Textilkunst zu einer neuen und bisher unbekannten Blüte gebracht wurde − nicht zufällig wohl auch in einer Region, die seit dem 19. Jahrhundert stark von der Textilindustrie geprägt war. Die textile Kunst dieser Zeit war geprägt von den Ideen und Zielen des Werkbundes und des Bauhauses, bei dessen Schülerinnen und Schülern Driessen lernte. Im Erzbistum Köln sind weitere Werke u.a. in Grevenbroich, St. Joseph (Wandbehang mit klugen und törichten Jungfrauen, 1962) und in St. Kamillus, Neuss (1952/53) erhalten. Einen weiteren Wandbehang mit einem Seraph schuf sie für die Beichtkapelle in Kevelaer. Die Kirche St. Marien in Ratingen-Tiefenbroich wurde 1955/56 nach Entwürfen des Architekten Kurt Schweflinghaus errichtet. Die hervorragenden Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrer Ausstattung beauftragt wurden, schufen besondere Werke ihrer Zeit, darunter Jochem Poensgen, Karl Franke und eben Helly Driessen.
Mit diesem himmlischen Gruß wünscht Ihnen der Fachbereich Kunstdenkmalpflege eine gesegnete Adventszeit und ein frohes Weihnachtsfest.
Anmerkungen
[1] Astrid Grittern: Helly Driessen – sakrale und profane Stickereien, in: Gemeinde Jüchen (Hg.): Helly Driessen. (Textile) Kunst auf Schloss Dyck (Geschichte der Gemeinde Jüchen 5), Horb am Neckar 2001, S. 7−11, 11.