Zum Inhalt springen
Service

Urbaner Stil auf dem Land:Eine Skulptur der hl. Ursula in St. Nikolaus von Tolentino in Rösrath

Rösrath, St. Nikolaus von Tolentino, hl. Ursula, Frontalansicht
Datum:
1. Okt. 2024
Von:
Carsten Schmalstieg
Objekt des Monats - Oktober 2024

Werkstatt oder Umkreis von Tilman Heysacker, Köln, um 1475/90
Eichenholz, Reste einer polychromen Fassung              
Höhe 104 cm, Breite 45 cm, Tiefe 30 cm

Die Stadt Köln ist ohne ihre Stadtpatronin Ursula kaum vorstellbar; die Orte ihres Martyriums und ihrer Verehrung, verbunden mit zahlreichen Darstellungen, sind hier zu finden. Einen Schwerpunkt bildet dabei die gleichnamige Kirche. Doch auch im Kölner Umland und sogar darüber hinaus existieren zahlreiche Bildwerke, die die Heilige zeigen. In Rösrath im Bergischen Land etwa, nur ca. 20 Kilometer von Köln entfernt, gibt es eine herausragende Ursulaskulptur, die in Köln geschaffen wurde und auf kaum noch nachvollziehbare Weise ihren Weg aufs Land gefunden hat.

In der Pfarrkirche St. Nikolaus von Tolentino in Rösrath (1691–1708 ursprünglich erbaut im Zusammenhang mit einer Klosteranlage Kölner Augustiner-Eremiten) steht sie auf einer Konsole an der nördlichen Wand in unmittelbarer Nähe zur Kanzel. Die zuletzt 2015/16 restaurierte Figur ist unterlebensgroß und zeigt die hl. Ursula im Typus einer Schutzmantelheiligen mit einer Krone auf dem Haupt. Die Haare um das feine, liebreizende Antlitz sind in weichen Wellen nach hinten drapiert. Unter dem zu Boden fallenden Kleid, das sie mit ihrer linken Hand gerafft hält, zeichnet sich ihr linkes Knie ab. Unter dem Saum des Kleides schaut Ursulas linke Fußspitze heraus, so dass es scheint, als schreite sie voran, was der Figur eine gewisse Dynamik verleiht. Die Heilige ist nicht allein: Ihr weiter Mantel umfängt unten links und rechts je zwei kleinere Frauenfiguren, die der größeren Ursula in ihrem äußeren Erscheinungsbild bis ins Detail stark ähneln. Diese Frauen stehen stellvertretend für die elftausend jungfräulichen Gefährtinnen Ursulas – man könnte also auch von einer Figurengruppe sprechen. 

Die Skulptur hat prominente „Verwandte“, mit denen sie eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten aufweist. In Typus, Stil und Ausführung ist sie besonders gut vergleichbar mit einer überlebensgroßen, steinernen Schutzmantel-Ursula im südlichen Seitenschiff der Kirche St. Ursula in Köln. Diese wird der Werkstatt Tilman Heysackers zugeschrieben[i], der als bekanntester Bildhauer und Bildschnitzer der Spätgotik in Köln gilt. 

Die Figur in St. Ursula wird von sechs Gefährtinnen begleitet und ist mit den typischen Attributen Pfeil und Buch versehen, die bei der Ursula in St. Nikolaus von Tolentino leider verloren gegangen sind. 

Der Vergleich mit der Rösrather Skulptur zeigt zwar große Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede, die zu dem Schluss führen, dass beide Figuren möglicherweise nicht von derselben Hand geschaffen worden sind. Dennoch kann man die Rösrather Ursula – wenn schon nicht Tilman Heysacker selbst – einem seiner Gesellen, seiner Werkstatt oder seinem Umkreis mit großer Sicherheit zuordnen.[ii]

Die Kölner Schutzmantel-Ursula lässt sich anhand stilistischer Merkmale in die Zeit um 1475 datieren. Sie wurde vorbildhaft für die nur wenig jüngere Rösrather, die dann im Laufe der 1470er oder 1480er Jahre entstanden sein dürfte. 

Warum aber besitzt die Pfarrkirche St. Nikolaus von Tolentino eine solch herausragende Bildschnitzerarbeit? Wurde sie in Köln eigens geschaffen für die bereits 1448 urkundlich erwähnte und nicht mehr existierende Vitus-Kapelle, die sich an der Stelle oder in der Nähe der heutigen Kirche befunden hat? Die Quellen schweigen leider zur Provenienz, so dass man nur Vermutungen anstellen kann. 

Die Herstellung einer Ursulafigur speziell für ein Gotteshaus in Rösrath gilt allerdings als unwahrscheinlich, da eine Darstellung der Heiligen thematisch und ikonographisch nicht zur dortigen (und bis heute bestehenden) Verehrung des hl. Vitus (Veit) passt, und auch eine besondere lokale Ursulaverehrung nicht nachweisbar ist. Die kleine Vitus-Kapelle bot darüber hinaus auch nicht die baulichen Voraussetzungen für die Aufnahme eines derart bedeutenden Kunstwerkes.

Es bleiben schließlich folgende Möglichkeiten, die sich aber gleichfalls nicht beweisen lassen: Entweder führten die Augustiner-Eremiten, die 1672 zur Seelsorge aus Köln nach Rösrath kamen und Kloster und Kirche bauten, die Skulptur mit sich oder sie gelangte 1794 ins Bergische Land, als Kölner Augustiner die Figur zusammen mit ihrem Archiv bei ihren Ordensbrüdern in Rösrath vor den herannahenden Truppen der Französischen Revolution in Sicherheit brachten.[iii]

Der Kunsthistoriker Günter Alexander Menne kommt trotz aller Kontroversen im Rahmen dieser Thematik zu einem versöhnlichen Fazit, das den eigentlichen Wert religiöser Bildwerke zutreffend erfasst: „So mancher Schatz verblieb in den Zeitläufen einer Geschichte der Plünderungen und Kriege endlich für immer an dem Ort, für den er zwar nie geschaffen war, durch den er aber für alle Menschen folgender Zeiten bewahrt wurde – unerwähnt in Archiven und Findbüchern, aber lebendig als Sinnbild religiöser Verehrung im Leben einer Gemeinde der Gegenwart.“[iv]

Literatur/Quellen

Gliesmann, Niklas: Gotische Skulptur in Köln – von den Parlern bis zu Tilmans Erben. In: Täube, Dagmar und Fleck, Miriam Verena (Hg.): Glanz und Größe des Mittelalters. Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt, München 2011, S. 146–153.

Karrenbrock, Reinhard: Kölner Bildschnitzerwerkstätten des späten Mittelalters (1400-1540). Zum Forschungsstand. In: Ders. (Bearb.): Museum Schnütgen. Die Holzskulpturen des Mittelalters II,1 (1400 bis 1540), Teil 1: Köln, Westfalen, Norddeutschland, Köln 2001, S. 9–79.

Karrenbrock, Reinhard: Bildschnitzer und Bildhauer im spätmittelalterlichen Köln. Archivalische Quellen, historische Befunde und Fragestellungen. In: Ders. (Bearb.): Museum Schnütgen. Die Holzskulpturen des Mittelalters II,1 (1400 bis 1540), Teil 1: Köln, Westfalen, Norddeutschland, Köln 2001, S. 121–136.

Menne, Günter Alexander: Die Rösrather Ursula-Statue, ein Beispiel des „Schönen Stils“. In: Chronik der Gemeinde Rösrath, Band 1, Volberg, Von den Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Rösrath 1993, S. 183–186. 

Wolff, Helmuth (Hg.): Katholische Pfarrkirche Rösrath – St. Nikolaus von Tolentino. Ein kleiner Führer. Mit Beiträgen von Eva-Maria Klother und Waltraud Rexhaus, Rösrath 1998 (= Rösrather Denkmäler 6), S. 22–24.


[i] Karrenbrock (Holzskulpturen) 2001, S. 333. Zu Tilman Heysacker: Gliesmann 2011, S. 151f.; Karrenbrock 2001 (Bildschnitzerwerkstätten), S. 28–52; Karrenbrock 2001 (Bildschnitzer und Bildhauer), S. 125–131.
[ii] Karrenbrock (Holzskulpturen) 2001, S. 275, 285 und 333.
[iii] Menne 1993, S. 185.
[iv] Menne 1993, S. 186.

3 Bilder