Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! :Ein Prachteinband von Mechthild Baumann in St. Quirinus, Bonn-Dottendorf
Silber (925), Edelsteine (Opal, Türkis, Bernstein, Malachit, Turmalin, Citrin, Amazonit (?), Aventurin (?), Bergkristall, Blautopas, Aquamarin (?), Diamant, Granat, Lapis Lazuli, Achat, Amethyst, Rubin, Onyx)
1987
Entwurf und Ausführung: Mechthild Baumann (Köln), Buchbindearbeit: Ingeborg Machmehl-Strobl (Bonn)
Signatur: 925 (Feingehaltsangabe Silber) / MB in rechteckigem Rahmen (Meisterzeichen Mechthild Baumann, Köln)
Im Zeitalter von Smartphone, Tablet und der Bevorzugung von E-Books gegenüber gebundenen Büchern scheint unser Objekt des Monats, ein Pracht- (bzw. Evangeliar-) Einband mit aufwändiger Goldschmiedearbeit, weit aus der Zeit gefallen. 1987 fertigte ihn die Kölner Goldschmiedin Mechthild Baumann (*1939) für die kath. Kirchengemeinde St. Quirinus in Bonn-Dottendorf. Reich mit reliefierten Darstellungen und Edelsteinen geschmückt, ist er ganz offensichtlich kein Objekt für den alltäglichen Gebrauch. Ein Bucheinband der zur Reflexion anregt.
Ein Silberblech in hochrechteckigem Format, das durch die Gestalt des Buches vorgegeben wird, ist vorderseitig mit einem großen Lebensbaum ziseliert. In sein dichtes Blattwerk sind verschiedenfarbige Edelsteine sowie eine Goldmünze mit Darstellung Christi als Pantokrator integriert. Umlaufend schmückt ein breiter Rahmen, gebildet aus golden unterlegten Bergkristallen: Vier pyramidenförmige Bergkristalle in den Ecken, dazwischen jeweils drei zu Torbögen geschliffene mit unterlegter Goldfolierung, die fein punzierte Engelsdarstellungen zeigen.
Was wir hier sehen, hat seine wörtliche Vorlage in der Bibel: Das Neue, das Himmlische Jerusalem, die Stadt, die am Ende der Zeit, geschmückt in Pracht und Herrlichkeit vom Himmel herabkommen wird, so beschreibt es eine Vision in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,11–22 EU):
„Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Auf die Tore sind Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels. Im Osten hat die Stadt drei Tore und im Norden drei Tore und im Süden drei Tore und im Westen drei Tore. Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes. (…) Ihre Mauer ist aus Jaspis gebaut und die Stadt ist aus reinem Gold, wie aus reinem Glas. Die Grundsteine der Stadtmauer sind mit edlen Steinen aller Art geschmückt; (…) Die zwölf Tore sind zwölf Perlen; (…) Die Straße der Stadt ist aus reinem Gold, wie aus klarem Glas. Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm.“
Dieser Beschreibung folgend ist auch der Rücken des Dottendorfer Buchdeckels gestaltet. Hier ordnen sich neun flach aufgetiefte Scheiben zu einem Quadrat an, in dessen Zentrum das Agnus Dei unter einer Traubendolde aus tiefroten, facettierten Granaten dargestellt ist. In diffusem Rhythmus unterziehen fein reliefierte, wie in Bewegung versetzte Wellenlinien (die Paradiesströme), die sich mittig zu einem Spitzoval (der Mandorla) formieren, das Motiv. An den Längsseiten schließt der Buchdeckel mit Rahmenleisten aus jeweils sechs Edelsteinen alternierend zu den fein ziselierten Namen der Zwölf Apostel ab. Vier kräftige Silberkugeln auf den Ecken dienen als Auflagepunkte des Buchdeckels und schützen den wertvollen Besatz.
Bereits im Mittelalter entstehen in Goldschmiedewerk verzierte Prachteinbände, die motivisch von der Vision dieser endzeitlichen Gottesstadt inspiriert sind. Am bekanntesten ist wohl der Buchdeckel des Codex aureus Epternacensis (entstanden wohl 985-991) und der Einband des Perikopenbuches Heinrich II. (entstanden um 1007/1012). Aber auch große Radleuchter, Tabernakel, Glasmalerei und Skulpturenschmuck sowie der Aufbau der Kirchengebäude selbst verbildlichen die Vision des Neuen Jerusalem.
Mechthild Baumann liefert mit ihrem Entwurf einen in technischer und gestalterischer Hinsicht exzeptionellen Beitrag zur Umsetzung dieses Motives. Ihr gelingt eine vorlagentreue, visuell und materiell modellhafte Nachbildung der Textquelle, die sie in eine zeitgenössische Formensprache transportiert. Darüber hinaus findet sie mit dem rückseitigen Motiv der großen neun goldenen Scheiben, die an die neun goldenen Kugeln des hl. Quirinus erinnern, einen subtilen Bezug zu dem Patron der Gemeinde St. Quirinus in Bonn-Dottendorf.
Als Objekt besonderer Präsenz und Augenfälligkeit wird das gebundene Buch mit seinem erhabenen Einband in der Messfeier selbst zum bildlich sprechenden Akteur, der das Himmlische Jerusalem als eschatologischen Topos verkündet. Nicht aus der Zeit gefallen, sondern aus der Zeit verweisend, lädt die Darstellung des Neuen Jerusalem in Baumanns Arbeit dazu ein, uns einzulassen auf die Prophezeiung einer Stadt am Ende der Zeit und am Ziel christlichen Lebens. Ein Ort jenseits des Irdischen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen!" (Offb 21,3 EU).
Literatur/Quellen
Böcher, Otto: Das himmlische Jerusalem und seine Wirkungsgeschichte in der Kunst unter besonderer Berücksichtigung des Gebrauchs der Edelsteine, Waltrop 2004.
Landesinnungsverband der Gold- und Silberschmiede sowie Juweliere Nordrhein-Westfalen
http://liv-nrw.de/mechthild-baumann-vita/ (zuletzt aufgerufen am 19.07.2024)