Die Wurzel-Jesse-Monstranz von Gabriel Hermeling in St. Peter in Bonn-Vilich
Gabriel Hermeling, Köln, 1891
Silber (800), Messing, Diamanten, Perlen, Rubin, Saphir
vergoldet, emailliert, getrieben, gegossen, ziseliert, graviert
Inschriften unter dem Fuß: Albertini Collegii / Bonnensis Directori Reverendo Domino / Doctori Francisco Düsterwald / per V lustra Sacerdoti DDD ex animo pergrato / d VII Aprilis / MDCCLXXXXI. // G. HERMELING / Beschauzeichen 800 Mond Krone
„Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn.“ (Jes. 11, 1-2)
Als der Kölner Goldschmied Gabriel Hermeling (1833-1904) im Jahr 1864 die Werkstatt seines Vaters Werner (1803-1873) übernimmt, hat sich dieser bereits mit hervorragenden Arbeiten der Goldschmiedekunst und der versierten Restaurierung mittelalterlicher Schatzobjekte einen Namen gemacht. Die Hermelings scheinen alle Stile und deren einhergehende Techniken, die im 19. Jahrhundert gefragt sind, meisterlich zu beherrschen.
Ein Stil aber dominiert in dieser Zeit, nicht zuletzt durch die Wiederaufnahme der Dombauvollendung ab 1842, besonders: Es ist der Mittelalterliche Stil respektive der Stil der Gotik, der sich in den Goldschmiedearbeiten der zweiten Jahrhunderthälfte durchsetzt. Sehr beliebt sind die neugotischen Turmmonstranzen, die einen zentralen Schauzylinder (das Expositorium) in detailreicher Scheinarchitektur aus Strebepfeilern, Fialtürmen, Maßwerkformen, Dachelementen und Fassadenteilen einfassen. Mitunter starr und streng kommt dieser Stil in seiner repetitiven Aneignung vergangener Formen daher. Nicht zuletzt, seit Techniken der seriellen Produktion wie Guss, Prägung, Drück- und Stanzverfahren vermehrt Einzug in die Edelmetallwerkstätten halten.
Ganz anders die 1891 gefertigte Monstranz aus der Werkstatt Hermeling. In spätgotischer Formensprache verbindet sie die beliebte Form der Turmmonstranz mit einem, ebenfalls bereits im Mittelalter geläufigen Bildmotiv: der Wurzel-Jesse.
Jesse, der Vater König Davids, bildet hier den Anfang der Wurzel und Ahnenreihe Jesu, die sich in Form eines vegetabil dargestellten Stammbaumes mit den 12 Stammvätern bzw. Königen Israels und Judas als Astwerk entfaltet und in der Darstellung Mariens mit dem Jesuskind ihre Krönung findet.
Auf dem sechspassigen Fußrücken der Monstranz ist Jesse als plastische Liegefigur dargestellt. Ihn umgeben gekordelte Rankenstränge, die die Pässe separieren und hinauf zum blattumspielten Schaftansatz der Monstranz wandern. Diese oszilliert in ihrer Ästhetik fortlaufend zwischen der statischen Form der neugotischen Turmmonstranz und dem organischen Motiv des Jessebaum. Die architektonische Form wird immer wieder aufgebrochen von rankenden, vegetabilen Motiven.
Im sechsseitigen, maßwerkdurchfensterten Schaft durchdringen Astranken und Blätter den herrlichen Baukörper, der symbolisch für das Haus Gottes, das himmlische Jerusalem steht. Aus diesem heraus steigen sie in zwei kräftigen Bögen zu Seiten des Expositoriums auf und präsentieren in den Verzweigungen die Nachkommen Jesse als detailreich wiedergegebene Halbfiguren. Mit ihnen zeigt sich Hermelings Meisterschaft. Fein ziseliert wiederholt keine dieser Figuren Ausdruck oder Haltung der anderen. Auch Haartracht und spätmittelalterliche Gewandung werden mit jeder Figur variiert. Mit dem an den Rankenenden ansetzenden Turmbaldachin, in dem vor einem herrlichen Strahlenkranz Maria mit dem Jesukind steht, schließt sich der Stammbaum. Gleichzeitig bleiben die Elemente des Baukörpers der Lebensbaum-Ästhetik verwachsen. Die bei Turmmonstranzen sonst so strengen Fialtürme strecken sich hier wie junge Triebe in sanftem Schwung zum abschließenden Kreuzaufsatz empor. Spitzbögen der Säulenkapitelle biegen sich wie Kelchblätter. Überhaupt hat die Monstranz etwas gewachsen Schwingendes. In ihrer Leichtigkeit entledigt sie sich der starren Strenge, die den älteren Werken im 19. Jh. oft anhaftet. Etliche Engelfiguren umgeben sowohl die Madonna mit dem Kind, als auch die Lunula mit der Hostie und rahmen so das Allerheiligste in doppeltem Sinn.
Viel Zeit und Könnerschaft liegen in der Anfertigung eines solchen Werkes. Und auch der reiche Edelsteinbesatz mit zahlreichen Diamanten in Alt- und Rosenschliff weist darauf hin, dass dies ein Objekt besonderer Güte und Prominenz sein muss. Als Geschenk für den ehemaligen Direktor des Theologenkonvikt Albertinum Bonn, Franz Heinrich Hubert Düsterwald, ließ man sie 1891 zu seinem 25jährigem Priesterjubiläum fertigen, so verrät uns die Inschrift im Fuß. Wer genau sie stiftete, bleibt uns verborgen, doch dass gewiss bleibt, wer sie gemacht hat, dafür sorgt Hermelings Meisterpunze, mit der er ebenfalls den Fuß der Monstranz signiert hat.
Silke Ingenhorst