Die Kraft der Linie – Der Kreuzweg von Jochem Pechau in St. Augustinus in Düsseldorf-Eller
Jochem Pechau
1968-1982
Holzschnitt auf Bütten
St. Augustinus, Düsseldorf-Eller
In St. Augustinus in Düsseldorf-Eller treffen wir auf kleinformatige Drucke, die den Leidensweg Jesu in 14 Stationen illustrieren:
1: Jesus wird zum Tode verurteilt (Abb.)
2: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
3: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
4: Jesus begegnet seiner Mutter
5: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
6: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
7: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
8: Jesus begegnet den weinenden Frauen
9: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz (Abb.)
10: Jesus wird seiner Kleider beraubt
11: Jesus wird ans Kreuz genagelt (Abb.)
12: Jesus stirbt am Kreuz
13: Jesus wird vom Kreuz abgenommen
14: Jesus wird ins Grab gelegt (Abb.)
An dem vorgestellten Kreuzweg arbeitete der Künstler Jochem Pechau (1929-1989) 14 Jahre, in der Zeit von 1968 bis 1982. Die entstandenen Tafeln in striktem Schwarz-Weiß-Kontrast sind in ihrer Darstellung herb und radikal. Aus einem Netzwerk dicht gesetzter Linien entsteht eine von tiefer Unmittelbarkeit dominierte Bildwelt.
Zur Umsetzung seines Kreuzwegs wählte Jochen Pechau den Holzschnitt, ein Medium, das auch im materiellen und technischen Sinn in die Tiefe geht. Mit verschiedenen Schnitzmessern und Hohleisen wird das Motiv (seitenverkehrt zum später entstehenden Druck) aus einem Holzblock geschnitten. Es entsteht ein Relief vertiefter Flächen sowie erhabener Grate, Linien und Inseln, die im späteren Druck die Farbe übertragen.
Die erste Station gibt uns Einblick in einen würfelartigen, spärlich beleuchteten Raum. In dessen Mitte, unter einer winzigen Deckenlampe steht Jesus, geschunden und mit gebundenen Händen. Er trägt die Insignien des Spotts: Dornenkrone, Mantel und Schilfrohr. Rechts im Bild verlässt Pontius Pilatus den Raum. Das Urteil ist gefallen. Gerade hat er seine Hände gewaschen. Die linke Hand ist noch nass. Im Gehen, vom Geschehen abgewandt, präsentiert er seine „saubere“ Handfläche. Links im Raum die aufgebrachte Menge, die die Verurteilung des Herrn gefordert hat.
Das Geschehen der Passion Jesu, übersetzt in einen teils unbestimmten, teils gegenwärtigen Raum, trifft den Betrachter bedeutungsschwer und nimmt ihn in die Verantwortung: Wenn anderen Unrecht widerfährt, bleibe ich dann Betrachter?
Manche Bilder dieses Kreuzwegs sind, wie das Kreuz Jesu auf dessen Passion, schwer zu (er)tragen. In klar erkennbarer Form präsentiert der Künstler Details die den Betrachter nicht schonen.
Etwa in Station 11: Jesus, bereits ans Kreuz geschlagen, liegt mit selbigem auf dem Boden einer Baustelle. Umgeben von Bauschutt und hingeworfenen Balken und Brettern. Neben ihm ein Bauwagen. Die Tür ist geöffnet. Schemenhaft lässt sich im Halbdunkeln eine Person, die an einem Tisch sitzt, ausmachen. Etwas belanglos Unbekümmertes geht von ihr aus. Das Geschehen draußen tangiert sie nicht.
Die Betrachtung dieses Kreuzweges ist wie ein bewusstes sich Einlassen auf den Schmerz der Welt. Er erschließt sich nicht oberflächlich im einfachen Betrachten, er erschließt sich im Mitfühlen und Mitdenken aber auch im Mithandeln. Im bewussten Erkennen der Verantwortung, die jeder von uns für die Erfahrungswirklichkeit und Welt unserer Mitmenschen hat.
Die letzte Station zeigt nicht Jesu Auferstehung, sie zeigt ihn im Grab liegend, im Boden, umschlossen von Erde. Es ist Nacht. Aber in feinlinigen, diagonalen Strahlen bricht das Licht des Ostermorgens in die Dunkelheit der Fläche. Dieses Bild spricht nicht vom Enden, sondern vom Ändern. Jesu als Samenkorn, im Boden auf dem wir Leben, erinnert uns daran, diese Welt in seinem Sinne entschieden verantwortlich zu gestalten.
Silke Ingenhorst