Ave! – Freue dich. Ein violetter Ornat aus St. Bruno in Köln-Klettenberg
Seide, Goldlamé, Stickgarn, Japangold
appliziert, gestickt
Chormantel-Schließe (Messing, emailliert)
Köln, zwischen 1926 und 1948
Die Betrachtung dieses außerordentlich farbenfrohen und eindringlich gestalteten Ornats, der möglicherweise schon kurz nach der Weihe der Kirche im Jahr 1926, sicher aber vor 1948 für St. Bruno in Köln-Klettenberg entstanden ist, führt in diesem Februar von der frohen Karnevalszeit hinüber in die vorösterliche Fastenzeit. Leuchtend bunte Stickereien verbinden sich mit goldenen Akzenten und dem matten Glanz des violetten Seidengewebes. Neben der besonders reizvollen Optik sind auch die inhaltlichen Bezüge vielfältig und von besonderer Fülle, wie im Folgenden skizziert werden kann.
Der Ornat
Der vorliegende, nahezu vollständig erhaltene Ornat mit moderner Stickerei umfasst einen Chormantel, eine Glockenkasel, zwei Dalmatiken sowie textiles Zubehör: verschiedene Stolen, Kelchvelum und Bursa. Somit ist alles vorhanden, was für ein feierliches Hochamt und andere liturgische Feiern gebraucht wird. Die violette Grundfarbe der Paramente weist auf ihren Gebrauch in der Advents- und Fastenzeit hin. Die Hochfeste Weihnachten und Ostern, auf die diese Besinnungs- und Bußtage hinführen, finden sich in den dargestellten Motiven wieder. Das gestalterische Hauptstück des Ornats ist zweifelsohne die Rückseite der Kasel.
Der Statur des gewandtragenden Körpers angepasst, spannt sich eine zentrale Kreuzigungsdarstellung mit dem Querbalken des Kreuzes über die Schultern des Priesters. Maria, die Mutter Jesu, umfasst den Kopf des ihr zugewandten, gekreuzigten Sohnes. Der Lieblingsjünger Jesu – Johannes – nimmt in sich gekehrt Anteil am Geschehen; am Fuß des Kreuzstammes kniet Maria Magdalena in hingebungsvollem Gebet. Trauernde umstehen zu beiden Seiten den zentralen Moment des Opfers. Der Schriftzug ET HOMO FACTUS EST (und ist Mensch geworden) aus dem Großen Glaubensbekenntnis spannt den Bogen von der Kreuzigungsdarstellung auf der oberen Rückseite des Gewandes hinüber zur Geburt Jesu auf dem unteren Teil der Kasel.
Maria
Das völlige Ausgerichtet-Sein Mariens auf den Sohn Gottes, das sich in beiden Darstellungen – Geburt und Kreuzigung – wiederfindet, wird zum optischen und inhaltlichen Bindeglied beider Motive. Durch Mariens Annahme der Verkündigung mit der anschließenden Geburt ihres vom Heiligen Geist gezeugten Kindes beginnt das Menschsein neu; durch sie kommt der Immanuel – der Gott mit uns – in die Welt. „Maria ist ein neuer Anfang“ (Benedikt XVI., S. 19), durch sie geschieht Neuschöpfung. Zugleich ist sie in die Annahme des Leides mit hineingenommen. Schon durch die Verheißung des Simeon bei der Darstellung des Herrn im Tempel erscheint sie als die mater dolorosa, „die Mutter mit dem Schwert im Herzen“ (Benedikt XVI., S. 94); unter dem Kreuz ihres Sohnes erfüllt sich die Prophezeiung.
Das Kreuz
Das Kreuz ist nicht nur das gestalterische Zentrum des Ornats; es ist das Zentrum der gesamten Frohen Botschaft. Durch die auf den Vorderseiten der beiden Dalmatiken applizierten kurzen Zitate CRUX AVE / SPES UNICA (Sei gegrüßt, Kreuz / einzige Hoffnung), die dem Kreuzhymnus „Vexilla regis“ von Venantius Fortunatus (6. Jh.) entnommen sind, wird der Sieg Jesu Christi über den Tod und damit die Erlösung von der durch den Ungehorsam Adam und Evas in die Welt gekommenen Sünde explizit zum Ausdruck gebracht.
Die Engel
Verkünder des Heils sind die Engel. Auf der unteren Rückseite der Kasel begleitet ein Engel die Darstellung der Maria mit dem Kind. Zum einen an die Verkündigung erinnernd war es aber auch ein Engel, der die Kunde von der Geburt des Heilandes an die Hirten überbrachte: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.“ (Lk 2,10−11)
Das Motiv auf dem Schild des Pluviale changiert in diesem Zusammenhang sicher nicht zufällig zwischen Verkündigungsdarstellung und der Begegnung der Maria Magdalena mit dem Engel am leeren Grab (vgl. Joh 20, 11−18): umspannen doch diese beiden Begebenheiten Geburt und Kreuzigung Jesu; sie überschreiten zugleich das rein irdische Leben Jesu und machen seine Gottheit offenbar. „Allmächtiger Gott, durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Jesu Christi, deines Sohnes erkannt“, beten Christen bis heute jeden Tag im Angelus-Gebet; und schließen dann als Ausdruck ihrer Hoffnung die Bitte an: „Lass uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen.“
Anbetung
Der so bekannte Glaube mündet in der Anbetung. Der Lobgesang der Engel ruft dazu auf, sich selbst aufzumachen, um dem Herrn zu begegnen. Kommt, lasset uns anbeten! – heißt es in einem bekannten Lied der Weihnachtszeit; VENITE ADOREMUS steht in großen Buchstaben auf den Pluvialstäben des Chormantels. So wie es den Hirten durch den Engel verkündet worden war, so ist die Gemeinde am Karfreitag gerufen das Kreuz zu verehren: Auf den Vorderseiten von Pluviale und Kasel versammeln sich die Menschen zur Anbetung. Mit ihnen sind auch die Gläubigen in der Liturgie der Advents- und Fastenzeit aufgerufen, sich zu bereiten für die Begegnung mit dem Herrn.
Anja Becker-Chouati