Alles andere als weiß: Die Wandmalereien der Kapelle St. Georg in Köln-Weiß
Entwurf: Elmar Hillebrand, Köln
Ausführung: Elmar Hillebrand, Theo Heiermann, Anna M’Barek u. a., Köln
Seccomalerei, um 1983
Die kleine Kapelle St. Georg in Köln-Weiß, nicht weit vom Rheinufer gelegen, war vom 15. bis ins 20. Jahrhundert die einzige Kirche des Dorfes. Schon im späten 19. Jahrhundert gab es Pläne für den Neubau einer größeren Kirche, da die Weißer Bevölkerung – wie in so vielen Kölner Stadtteilen – inzwischen stark angewachsen war. Ein neuer Kirchenbau, ebenfalls dem Hl. Georg geweiht, nur wenige Meter von der Kapelle entfernt, entstand dann aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren. Seitdem stehen die beiden Kirchen nebeneinander, sinnbildlich für alt und neu.
Bei der Kapelle handelt es sich um einen kleinen Saalbau mit halbrunder Apsis im Osten. Betritt man den Kirchenraum durch die Eingangstür im Norden fallen sofort die farbenfrohen Wandmalereien ins Auge, die sich über die Wände, das Chorgewölbe und die Langhausdecke ziehen (Abb. 1). Die spielerische Fülle an Bildern gibt dem Raum ein geradezu mittelalterliches Gepräge und lässt an raumfüllende Wandmalereien des Mittelalters und der Renaissance denken. Während die Weißer Kapelle wohl im 15. Jahrhundert erbaut wurde und zumindest Mauerreste bis in diese Zeit zurückreichen, sind die Wandmalereien keineswegs so alt und beziehen sich auch nicht auf eine ehemals vorhandene Ausmalung: Nach einer Instandsetzung der Kapelle in den 1980er Jahren initiierte der in Köln-Weiß ansässige Künstler Elmar Hillebrand die Ausmalung, da ihm die weißen Wände der nach starken Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wieder aufgebauten Kapelle allzu karg erschienen. Während er und weitere Künstlerinnen und Künstler (u. a. Theo Heiermann, Ulrike Hasselbach, Anna M’Barek) die Malereien konzipierten und einen großen Teil selbst ausführten, leitete Hillebrand wohl auch manch einen ortsansässigen „Laien“ zur Mithilfe bei der Ausmalung an.
Der Altarraum in der Ostapsis zeigt sich im Bereich unterhalb der Fenster fast vollständig bedeckt durch illusionistische Motive: Gemalte Wandbehänge in Blau-, Gelb- und Ockertönen hinterfangen den schlichten Altar in der Mitte des Raumes (Abb. 2). Unterbrochen werden sie zweimal von vergitterten Wandnischen, die durch eine aufgemalte spätgotische Scheinarchitektur zu kleinen Schreinen auf Stelen umgedacht werden. Ausgemalt ist ebenfalls das Gewölbe in Art eines Himmelsgewölbes mit weißen Sternen auf blauem Grund (Abb. 3). Auch die Konsolen und Gewölberippen sind farbig gefasst, ihre Ansätze werden durch Blatt- und Blumendekor ausgezeichnet. Wendet man sich im Altarraum in Richtung des Langhauses, zeigt sich über dem Durchgangsbogen ein kleiner Oculus – wiederum illusionistisch als gemauertes Rundfenster vor einem blauen Himmel dargestellt. Auf der Fensterbank „sitzt“ die Friedenstaube mit Ölbaumzweig, darüber wurde auf einem der Steine das Datum der Malereien festgehalten: AD 1983 (Abb. 4).
Schon im Altarraum zeigt sich eine große Verspieltheit der Ausmalungen, durchgehendes Stilmittel ist der Illusionismus. In ihrer Ausführung allerdings bleiben die Malereien schlicht und locker, an keiner Stelle bemühte man sich um irgendeine Form von Hyperrealismus. Stattdessen wird eine Art naiver Grundton unterstrichen durch kleine Drolerien: Vögel, die auf den Stangen der Wandbehänge sitzen, oder Blumensträuße, die zusammengebunden von der Decke hängen. Diese Charakteristika setzen sich im Langhaus fort. Dort werden die Wände außerdem von separat umrahmten Bildfeldern mit Szenen aus der Bibel oder Heiligenbildern untergliedert. Um den Chorbogen herum sind die Kreuzigung sowie Szenen nach der Auferstehung dargestellt. Zwei große Bildfelder an den Längswänden wurden von Hillebrands Tochter Anna M’Barek und dem befreundeten Künstler Theo Heiermann gestaltet. Auch Wandnischen und manch ein an der Wand angebrachtes Objekt werden durch eine gemalte Scheinarchitektur umrahmt. Die Holzdecke im Langhaus ist durch flächendeckende Malereien zu einer Art Gartenlaube umgestaltet (Abb. 5): Ein Spalier wird dicht von Weinlaub umrankt, dahinter scheint ein blauer Himmel durch. In der Mitte ist unter dem Spalier ein weißes Tuch als Baldachin aufgespannt, im Wandbereich unterhalb der Decke verläuft ein Ornamentband in Gelb-, Rot- und Grüntönen (Abb. 6), dessen geometrisch-räumlicher Rautendekor sich eng anlehnt an frühmittelalterliche Ornamentbänder wie in St. Georg in Reichenau-Oberzell.
Die bunten Wandmalereien in der Kapelle St. Georg in Köln-Weiß sind ein interessanter Gegenentwurf zu den oft sehr reduzierten Raumkonzepten von Kirchen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut oder wiederaufgebaut wurden. Sie schöpfen aus verschiedenen Vorbildern vom frühen Mittelalter bis zur italienischen Renaissance, bleiben im Detail aber modern. Nichtsdestotrotz suggerieren sie im Gesamteindruck eine Altertümlichkeit des Raumes, die in dieser Form zuvor nicht vorhanden war. Bei der Instandsetzung 1982/83 entdeckte man im Gewände eines kleinen Fensters in der Westwand Reste einer Bemalung (Abb. 7), doch dieser Befund bleibt der einzige Hinweis auf kleinere Ausmalungen in der Kirche vor dem 20. Jahrhundert. Eine jüngste Restaurierung der Wandmalereien wurde bis 2024 durchgeführt. Die Kapelle ist seitdem wieder tagsüber geöffnet für eine Besichtigung und persönliche Andacht.