Die Stationen des Lebens des Priesters Heinrich Barlage sind schnell genannt: Köln - Kettwig - Rom - Köln. In Köln-Deutz wurde der am 9. April 1932 als ältester von drei Brüdern geborene Heinrich Barlage groß, hier besuchte er das Gymnasium, hier feierte er nach dem Theologiestudium und der Ausbildung im Priesterseminar seine Primiz, nachdem er am 24. Februar 1958 mit 21 anderen Diakonen die Priesterweihe im Dom aus der Hand von Kardinal Josef Frings empfangen hatte. Seine erste Stelle war für drei Jahre St. Peter in Essen-Kettwig.
1961 wurde Barlage aus der Pfarrseelsorge abberufen und in das Generalvikariat versetzt, wo er zunächst als Assistent des Generalvikars tätig war. Von 1962 bis 1965 - in Rom tagte das II. Vatikanische Konzil - war er dann zum Studium des kanonischen Rechts in die Ewige Stadt beurlaubt, wo er im Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima wohnte; an der wohl angesehensten Päpstlichen Hochschule Roms, der Gregoriana, studierte er jene theologische Disziplin, deren Anwendung künftig der Schwerpunkt seiner priesterlichen Tätigkeit sein sollte: das Kirchenrecht.
Die angefangene Doktorarbeit gab er klaglos auf, als er 1965 nach Köln in das Sekretariat des Generalvikars zurückgerufen wurde. Domkapitular Prälat Wilhelm Bußmann war unerwartet im Alter von erst 56 Jahren an einer tragischen Verkennung einer akuten Krankheit gestorben; seine Stelle in der Kurie musste unbedingt nachbesetzt werden. Barlage oblag in seiner Nachfolge die Bearbeitung der sog. außergerichtlichen Ehesachen, woraus sich später die Stabsabteilung Kirchenrecht entwickelte, deren Leitung er bis 1990 innehatte. Hier hat er im Lauf der Jahre nicht nur abertausende Reskripte ausgefertigt, wo durch die Rechtsordnung eine bischöfliche Entscheidung vorgeschrieben ist, sondern hier war er Tag für Tag für Mitbrüder, Pfarrsekretärinnen und andere Fragesteller erreichbar, um kompetent, geduldig, verständnisvoll und hilfsbereit für die Menschen, aber gewissenhaft und unerbittlich in der Sache, Antwort zu geben. Als ich 1990 seine Aufgaben übernahm, weil er sich in ihrer Erfüllung bis zur Erschöpfung seiner Kräfte verausgabt hatte, gab es im Priesterrat einen lang anhaltenden Applaus für ihn, fast "standing ovations", als Generalvikar Feldhoff sagte, dass diese Stelle des Generalvikariates wegen ihrer kompetenten und prompten Erledigung aller Anliegen unüberboten und im ganzen Bistum geschätzt sei. In diese Anerkennung muss man die Mitarbeiterinnen von Prälat Barlage einbeziehen, denen er vieles abverlangt hat, selber aber stets das beste Beispiel war.
Seine Wirksamkeit reichte auch über das Erzbistum hinaus, weil er die in Rom geknüpften Kontakte nutzte, um einen bis dahin so nicht gepflegten Austausch zwischen den ihm bekannten Kollegen in deutschen Generalvikariaten anzuregen und in Gang zu halten; im Laufe der Jahre entwickelte sich daraus die bis heute bestehende Konferenz der Verwaltungskanonisten. Er war aber nicht nur einer der Initiatoren dieses kollegialen Austausches, sondern auch Motor gemeinsamer Projekte, z.B. eines einheitlichen Ehevorbereitungsformulars, sachkundiger, viele Eventualitäten bedenkender Debattant und akribischer Protokollant sowie über viele Jahre gern besuchter, großzügiger Gastgeber dieses Kreises. Sein Einsatz fand auch päpstliche Anerkennung: 1973 wurde er Monsignore, 1983 Ehrenprälat.
Gewiss war die Arbeit am Schreibtisch und Telefon, die sich hier nur sehr unvollkommen skizzieren lässt, der Schwerpunkt seines Lebens. Aber wenn schon nicht von der Zeit, so doch vom beigemessenen Gewicht her war ihm die Erfüllung des priesterlichen Dienstes im Dom nicht minder bedeutsam. Die früheste Messe (damals 5.30 Uhr) war ihm als Domvikar nicht zu früh, der stundenlange Beichtdienst vor dem Büro nicht zu anstrengend, die über seine eigentliche Pflicht hinausgehenden seelsorglichen Aufgaben waren ihm nicht lästig, ja manche Kontakte, die sich in diesem Feld ergaben, erlebte er wie eine Kontrasterholung. Ich möchte nicht zählen, wie viele Polizeibeamte seinen Einladungen gefolgt sind, einmal gemeinsam mit ihm über die Dächer des Domes zu steigen oder durch die Ausgrabungen unter dem Dom geführt zu werden; dabei und bei den anschließenden Treffen erfuhren sie sein Interesse und seine große Sympathie für die Aufgaben und Probleme ihrer Arbeit. Das ist ein eigenes Kapitel, das von einem Außenstehenden gar nicht angemessen beschrieben werden kann, aber in manchen schönen Zeichen seitens der Polizei gewürdigt wurde.
Die Verausgabung seiner Kräfte führte leider dazu, dass Prälat Barlage 1990 die Arbeit im Generalvikariat aufgeben musste. Er war danach bis 2000 als Vizeoffizial am Erzbischöflichen Gericht tätig, solange er täglich den Weg von seiner Wohnung dorthin schaffte. Dann stand er noch als Diözesanrichter zur Verfügung, bis er im Jahre 2005 diese wie alle seine anderen Aufgaben, auch das ihm 1984 übertragene Amt eines Domkapitulars an der von ihm so geliebten Hohen Domkirche aufgeben musste, da sich sein Gesundheitszustand mehr und mehr verschlechterte. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er ganz in der Nähe seiner alten Wirkungsstätten Dom, Generalvikariat und Offizialat im St. Maria-Seniorenhaus in der Schwalbengasse, wo er nach einem langen Krankenlager am 6. Juni 2011 gestorben ist.
Ein paar Wochen vor dem Tod von Prälat Barlage las ich in einem Interview eine angeblich afrikanische Redensart, die sagt: "Immer, wenn ein alter Mann stirbt, verbrennt eine Bibliothek." Das gilt auch für Heinrich Barlage, der sich allen Aufgaben, die ihm im Laufe seines Lebens in der Kirche übertragen wurden, mit einer bewundernswerten Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit und einem restlosen Einsatz gewidmet hat.
Was er tat, wusste er bei Gott geborgen.
Domkapitular Prälat Dr. Günter Assenmacher
Erzbischöflicher Offizial
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