„Stoffwechsel“
Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass der „Stoffwechsel 33“ kein gewöhnliches Geschäft ist. Die Hosen liegen gefaltet in ansprechenden Holzregalen. In einem Korb stehen Krawattenschachteln. Blusen und Oberhemden hängen aufgereiht an der Stange, als wären sie im Sonderangebot. Die Wände des Ladens in der Euskirchener Innenstadt sind in warmen Beige-Tönen gestrichen.
Ulrike Lange kommt mindestens zweimal die Woche vorbei. „Ich fühle mich hier wohl, die Leute sind nett“, sagt die 73-Jährige, die auf einen Rollator angewiesen ist. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum sie Stammgast im „Stoffwechsel 33“ ist: Sie hat wenig Geld. Und hier, „in meiner Boutique“, wie sie sagt, kostet kein Kleidungsstück mehr als sieben Euro. Der „Stoffwechsel 33“ (33 ist die Hausnummer in der Kapellenstraße) ist ein sozialer Kleiderladen der Caritas, eine Institution in Euskirchen, älter als die meisten Geschäfte der Umgebung. Vor über 30 Jahren als klassische Kleiderkammer gegründet, bekam der „Stoffwechsel“ 2006 seinen jetzigen Namen – und einen neuen Look.
„Menschen, die aufgrund sozialer Notlagen darauf angewiesen sind, ihre Kleidung möglichst günstig einzukaufen, haben aus unserer Sicht ein Recht auf ein würdiges Einkaufserlebnis“, sagt der Euskirchener Caritas-Vorstandsvorsitzende Martin Jost. 20 Kunden kommen an einem normalen Tag: arme Rentnerinnen, Geflüchtete, Alleinerziehende, aber auch Studenten, die die Second-Hand-Ware schätzen. „Denn die ist gut“, betont Leiterin Marina Buchmüller und wird von Kundin Ulrike Lange nickend bestätigt. Die war vor vielen Jahren selbst mal Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft und kann beurteilen, ob ein Stoff gut ist und eine getragene Hose noch taugt.
Tendenziell, sagt Buchmüller, steige die Zahl der Kundinnen und Kunden. Der „Stoffwechsel“ wird also immer wichtiger. Er ist zugleich eine Art Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen: Steigt die Armut, nimmt die Arbeitslosigkeit wieder zu, ziehen Geflüchtete in eine Euskirchener Unterkunft – dann wird es zu den Geschäftszeiten (täglich 9.30 Uhr bis 16.30 Uhr) voller. Bis heute kommen viele aus der Ukraine geflohene Menschen, um sich neu einzukleiden.
Ort der Hilfe
Marina Buchmüller ist selbst vor 30 Jahren mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Damals war sie noch ein Kind und besaß nicht viel mehr als das, was sie am Leib trug. Sie war angewiesen auf Kleiderkammern. Seit fünf Jahren ist sie im „Stoffwechsel“ nicht nur Verkäuferin, sondern Leiterin. Angefangen hat alles mit einer Arbeitsgelegenheit in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter in Euskirchen – für langzeitarbeitslose Menschen eine Chance, den Weg zurück ins Berufsleben zu finden.
Ohnehin ist der „Stoffwechsel“ weit mehr als nur ein Laden, der dabei hilft, dass jeder und jede in Euskirchen und Umgebung angemessene Kleidung bekommt. Er gibt auch fünf Menschen, die es auf dem regulären Arbeitsmarkt schwer haben, einen Job. Und er ist ein sozialer Treffpunkt mitten im Euskirchener Brennpunkt, wo immer mehr Ladenlokale leer stehen. Die Caritas hat das Geschäft angemietet, Gewinne macht der Verband mit dem „Stoffwechsel“ keine. „Im Gegenteil“, sagt Martin Jost. „Es gehört zur urcaritativen Aufgabe, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.“ Die Caritas in Euskirchen unterhält ein paar Straßen weiter auch einen Möbelladen.
Ort der Begegnung
Wie Ulrike Lange kommen viele Kundinnen und Kunden nicht nur zum Kaufen, sondern auch zum Klönen. Und das fällt in einem Geschäft, das auch aussieht wie eines, leichter als in einer klassischen Kleiderkammer ohne Flair. Trotzdem gibt es Menschen, die sich schwertun mit einem sozialen Laden wie dem „Stoffwechsel“.
Das hat viel mit Scham zu tun. Gerade in einer mittelgroßen Stadt wie Euskirchen mit seinen gut 60.000 Einwohnern ist die Gefahr groß, dass der Besuch in einem sozialen Laden nicht geheim bleibt. „Was? Du bist auf eine Kleiderkammer angewiesen?“ Petra Kierberg (Name geändert) hat das schon oft gehört. Mittlerweile sei ihr das egal, angewiesen auf den „Stoffwechsel“ sei sie auch nicht. „Aber der Laden hat viele Vorteile. Es gibt Markenklamotten. Außerdem ist es nachhaltig, hier einzukaufen.“ Tendenziell, sagt Leiterin Buchmüller, werde die Chance auf Markenkleidung immer größer.
„Die Menschen kaufen immer mehr Kleidung und bringen sie dann zu uns, wenn sie sie nicht mehr gut finden.“ Neulich sei jemand mit 30 Müllsäcken voll gekommen. „Das meiste war zwar nicht mehr zu gebrauchen, das war aber eine Ausnahme.“ In aller Regel sei die Kleidung noch gut oder sogar sehr gut. Als in einer Nachbarstadt ein Dessous-Geschäft aufgeben musste, brachte der Besitzer die übrig gebliebene Ware zum „Stoffwechsel“. Auch da galt: Kein Kleidungsstück kostete mehr als sieben Euro. Für ein paar Tage war der „Stoffwechsel“ der angesagteste Laden der Stadt.