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Über das Wunder der Geburt am Heiligen Abend:Ein „Christkind“ im Kreißsaal

Melissa Knitter hängt eine Kugel mit dem Namen ihres Sohnes an einen Tannenzweig auf der Geburtsstation.
Von:
Anna Woznicki
Im Vinzenz Pallotti Hospital in Bensberg erleben Familien an Weihnachten nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch das Wunder der Geburt. 2000 Babys erblicken jährlich hier das Licht der Welt. Wenn aber ausgerechnet am Heiligen Abend kleine „Christkinder“ geboren werden, ist es für Familien und Pflegepersonal ein ganz besonderer Moment, der eine 2000 Jahre alte Geschichte wieder lebendig werden lässt.
Melissa Knitter schreibt den Namen ihre Sohnes auf eine Weihnachstkugel.

Melissa Knitters Hände zittern leicht, als sie den Namen ihres Sohnes auf die rote Christbaumkugel schreibt: Jonas. Gerade eben erst hat er das Licht der Welt erblickt, geboren am 24. Dezember. Ihr schönstes Geschenk, ihr Weihnachtszauber, ihr kleines Christkind, denkt sie, als sie die Kugel in den Tannenzweig auf der Neugeborenenstation hängt.

Ab dem heutigen Tag gehört ihr Jonas so fest zu Weihnachten wie die Kerzen zum Adventskranz, wie der Plätzchenduft aus der Küche zum Dezember und „Last Christmas“ von Wham! in das Repertoire eines jeden Radiosenders. „Nehmen Sie sich doch Ihr Geschenk aus unserem Adventskalender“, fordert Stationsschwester Petra Vilshöver die junge Mutter auf. „Wir haben uns schon gefragt, wer das 24. Türchen öffnen darf. Ist ja schließlich etwas ganz Besonderes“, zwinkert sie Knitter zu, als diese das selbst gestrickte Mützchen auspackt.

Etwas Besonderes – das war es, erinnert sich Melissa Knitter heute. Sie hatte sich so gewünscht, dass Jonas nicht am Heiligen Abend zur Welt kommt. Schon Tage vorher war sie ins Krankenhaus bestellt worden zur Geburtseinleitung. Dann die Nachricht, es muss ein Kaiserschnitt werden – am 24. Dezember. „Ich hätte heulen können“, erzählt sie. Doch dann waren da die Hebammen und Schwestern des Vinzenz Pallotti Hospitals in Bensberg, die sie auffingen und ihr jederzeit das Gefühl gaben: Das Allerwichtigste passiert gerade jetzt.

Die Familie, die zu Hause bei Kerzenschein feierte, rückte in den Hintergrund. Der Christbaum, der liebevoll dekoriert in ihrer Wohnung stand und unter dem sie eigentlich mit ihrer neuen kleinen Familie hatte feiern wollen, wurde unwichtig. „Erst als ich Jonas im Arm hielt, wurde es mir bewusst: Ich hatte ein Christkind bekommen.“

Die Nachbetreuung nach der Geburt ist für Hebamme Damaris Fritschle (rechts) ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit.

Das Knistern der Heiligen Nacht

Für die Hebammen ist der Weihnachtstag erst einmal ein Tag wie jeder andere. Sie müssen funktionieren. Alles muss genauso professionell ablaufen wie sonst auch. Und dennoch, alles ist da – das Knistern der Heiligen Nacht, die Tannenzweige mit den Kugeln, die die Familien in der Weihnachtszeit auf der Station aufhängen, die Gespräche mit den Kolleginnen.

Und dann ist da noch ein Gedanke, der Hebamme Damaris Fritschle immer wieder in den Kopf kommt: „Wie hat Maria das damals geschafft? Allein, ohne Hebamme, ohne ihre Familie. Wer hat ihr gut zugeredet? Gesagt, dass sie es schaffen wird? Wer hat ihre Geburtsverletzungen versorgt?“ Und dann verspürt Fritschle eine tiefe Dankbarkeit. Für die gute medizinische Versorgung und dafür, dass sie es sein darf, die die Familien begleitet. „Keiner wünscht sich Wehen an Heiligabend, wenn wir mal ehrlich sind“, sagt ihre Kollegin Luisa Tomadini. „Ein Weihnachtswunder ist eine Geburt am Heiligen Abend aber immer. Manchmal haben wir hier die Hütte voll. Dann rennen wir von einem Kreißsaal zum nächsten. Von Besinnlichkeit können wir dabei nicht wirklich sprechen. Und dann wiederum gibt es Jahre, da ist es hier ganz ruhig an Heiligabend.“

An das vergangene Jahr erinnert sich die Hebamme nur zu gut. Ein einziger Kreißsaal war belegt, doch das Schreien eines Neugeborenen blieb aus. Es war eine stille Geburt, eine Totgeburt. Und das in einer Nacht, die eigentlich von Wundern erzählen soll, von einem Kind in der Krippe, das allen Menschen Hoffnung gibt. Die Hoffnung der Mutter starb mit ihrem Kind in der stillen Nacht, die sich niemand so still gewünscht hätte. „So schön unser Job ist, so schmerzhaft kann er auch sein. An Weihnachten trifft es noch einmal mehr ins Herz“, sagt Tomadini.

Immer wieder gerne denken die Frauen an ein wahres Weihnachtswunder zurück: „An einem Heiligabend kam eine Frau zu uns, die schon in der 24. Schwangerschaftswoche ihr Kind zur Welt bringen musste. Sie wurde mit dem Rettungswagen in ein anderes Krankenhaus verlegt. Wir wussten nicht, ob das Frühchen überleben würde.“ Dann, ein Jahr später, zu Weihnachten der Brief: Das Baby hatte es geschafft, und die Familie feierte den ersten Geburtstag – nicht ohne das Hebammenteam an ihrer Freude darüber teilhaben zu lassen.

Sie sind ein gutes Team: Oberärztin Dr. Lena Hochstein, Hebamme Damaris Fritschle und Kinderkrankenschwester Luisa Tomadini (von links).

Ärzteteam ohne Kittel

In ihren 27 Dienstjahren im Vinzenz Pallotti Hospital hat Luisa Tomadini Glück und Leid in die Augen geschaut. 2000 Geburten verzeichnet das Krankenhaus im Jahr. Acht Zimmer auf Station plus sieben Familienzimmer stehen den Neugeborenen und ihren Eltern zur Verfügung. Frauen, die sich eine besondere Begleitung wünschen und einen gewissen Geist – nicht nur an Heiligabend –, suchen sich bewusst genau diese Klinik aus. „Wir sind einfach anders“, sagt Tomadini. „Wir gehen den Weg der Geburt mit der Frau gemeinsam. Wir sprechen alles miteinander ab. Wir bieten einen Schutzraum. Die Ärzte ziehen, bevor sie den Kreißsaal betreten, den Kittel aus. Es sind Nuancen, die aber so viel ausmachen.“

Für Dr. Lena Hochstein ist das selbstverständlich. „Die Frauen reagieren ganz anders auf mich, wenn ich keinen Kittel mehr anhabe“, weiß sie. Die Oberärztin in der Gynäkologie und Geburtshilfe schätzt die Tage rund um Weihnachten trotz Hektik und Stress: „Irgendwie bringt es uns als Kolleginnen und Kollegen näher zusammen. Jeder bringt dann etwas zu essen mit, und wir genießen die wenige Zeit, die wir haben, gemeinsam. Es fühlt sich dann auf einmal familiär an. Ja, es ist immer wieder eine Rückbesinnung auf das, was an Weihnachten wichtig ist.“ Die junge Ärztin konnte ihr Glück kaum fassen, als sie die Stelle in Bensberg angeboten bekam. Die Werte, die hier gelebt werden, vertritt sie, und das Miteinander – ob mit Kolleginnen oder Patientinnen – schätzt sie. „Hier bin ich genau richtig“, sagt Lena Hochstein.

Melissa Knitter hat eben diesen Geist des Hauses gespürt. „Ich hatte von der besonderen Atmosphäre gehört, die hier herrscht. Für mich war klar, wenn ich ein Kind bekomme, dann hier.“ Dafür nahm die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte sogar den Weg aus Langenfeld auf sich. Drei Jahre ist es nun her, dass ihr Jonas geboren wurde. Lange dauert es nicht mehr, bis bei ihr zu Hause Weihnachtsdeko und Luftballons wieder aufeinandertreffen. Wenn die Geburtstagskerzen auf dem Kuchen ausgepustet werden, strahlen die Kerzen am Weihnachtsbaum besonders hell. Für Jonas, für alle Kinder dieser Welt – und für eines, das einst nicht im Kreißsaal, sondern in einem einfachen Stall zur Welt kam.