Menschen:Angekommen
Helda Kutish
Die syrische Künstlerin malt, auch um Kindern aus dem Krieg ein Gesicht zu geben. „Ich habe so viel Schreckliches erlebt, aber auch so viel Unterstützung während meiner Flucht und besonders hier in Deutschland erfahren. Für diese Hilfe möchte ich mich bedanken und etwas zurückgeben.“ Helda Kutish sitzt, während sie das sagt, im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung in Ratingen, in der sie gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern wohnt, und schaut auf einige der Bilder, die an den Wänden hängen und die sie gemalt hat – auch um ihre eigenen Erfahrungen und Traumata zu verarbeiten.
Kutish ist Modedesignerin und Kunstlehrerin und hat vor dem Krieg in Syrien beide Berufe in ihrer Heimat, der Küstenstadt Latakia, ausgeübt. Damals habe sie eher Landschaften, Naturmotive und Stillleben gemalt, erzählt sie. Die Motive ihrer Bilder haben sich, wie ihr komplettes Leben, verändert durch das, was am 9. September 2015 begann. Aufgrund des Bürgerkrieges und konkreter Morddrohungen ihr gegenüber verließ sie an diesem Tag allein ihre Familie, um in einem anderen Land eine Zukunft für sie aufzubauen.
„Meine Tochter Lydia war damals erst anderthalb Jahre alt“, sagt die Frau mit der so positiven Ausstrahlung, „mein Sohn Wafik war neun. Er hat mir damals gesagt: Mama, ich werde auf dich warten. Diese Worte habe ich während meiner Flucht immer im Herzen getragen.“ Eine Odyssee über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland begann: voller Hindernisse und geprägt durch Hunger, Durst, Lebensgefahr und vor allem Angst, die Familie nie mehr wiederzusehen. „Bei einer Überfahrt musste ich mehr als drei Stunden durchs Meer ans rettende Ufer einer griechischen Insel schwimmen, weil unser Schlauchboot sank. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das geschafft habe.“
Leise, aber starke Persönlichkeit
Nach mehr als anderthalb Monaten Flucht kam Helda Kutish am 29. Oktober 2015 mit dem Zug in Köln an. „Diesen Tag werde ich nie vergessen. Als ich den Kölner Dom gesehen habe, habe ich gesagt: Hier will ich für immer bleiben!“ Doch es ging weiter. Über Lippstadt kam die 42-Jährige nach Ratingen und lernte Manfred Evers vom Sozial- und Wohlfahrtsverband Volkssolidarität Ratingen, seine Frau und die Integrationsbeauftragte der „Aktion Neue Nachbarn“ im Kreis Mettmann, Ursula Hacket, kennen. Seitdem hat sich das Leben der Künstlerin verändert. Das Ehepaar half bei der Vermittlung von Deutschkursen, vielen Behördengängen und dem Antrag auf Familienzusammenführung, sodass 2018 Kutishs Mann und die beiden Kinder nachkommen konnten.
Heute arbeitet Kutish als Kunstlehrerin an einer Privatschule und ehrenamtlich bei der Caritas. Hier gibt sie unter anderem Kindern in Flüchtlingsunterkünften Malunterricht, engagiert sich als Lernpatin und hilft immer mal wieder in einem Seniorentreff. Seit drei Jahren ist sie Mitglied im Integrationsrat der Stadt Ratingen. „Immer wenn ich Frau Kutish frage, ob sie helfen kann, ist sie da. Sie ist sehr wissbegierig und zielstrebig. Eine leise, aber starke Persönlichkeit“, sagt Susanne Schad-Curtis, die als Integrationsbeauftragte Ansprechpartnerin für Geflüchtete im Südkreis des Kreises Mettmann ist. Für die syrische Künstlerin sind all diese Tätigkeiten selbstverständlich. „Ich bin Deutschland so dankbar. Hier gibt es Sicherheit und Freiheit, ich habe keine Angst mehr, und meine Kinder haben eine Zukunft vor sich.“
Milad Kakone
Katholischer Iraker rasiert, frisiert, singt und hat in Rekordzeit seiner Familie eine Existenz aufgebaut.„Miladʼs Barber und Hairstylist“ – so steht es auf dem Schild über dem Friseursalon und angrenzenden Barbershop von Milad Kakone in Weilerswist. Vor fünf Jahren hat der 34-jährige Iraker das Geschäft eröffnet und damit seinen Traum verwirklicht. „Ich habe das für meinen Vater getan, damit er hier in Deutschland wieder als Friseur arbeiten kann“, sagt der sympathische junge Mann. Den Weg bis dahin hat er im Eiltempo bewältigt.
Aufgewachsen ist der gläubige Katholik in Ankawa, einem Vorort von Erbil, einer der ältesten christlichen Ansiedlungen im Irak. Als vor zehn Jahren der marodierende sogenannte Islamische Staat (IS) vor den Mauern Ankawas stand, beschloss die Familie, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. „Ich bin mit meinen zwei Schwestern und meinen Eltern aufgebrochen, mein Bruder war zu der Zeit im Priesterseminar“, erzählt der studierte Informatiker Kakone. Über Frankreich kam die Familie nach Deutschland, und nach mehreren Stationen (unter anderem in Dortmund und Soest) fand sie im beschaulichen Weilerswist im Kreis Euskirchen eine neue Heimat.
Jeden Sonntag im Gottesdienst
Das Ziel, einen Friseurladen aufzumachen, hatte Kakone währenddessen fest im Blick. In Ankawa hatte er bereits oft bei seinem Vater ausgeholfen. 35 Jahre hatte der dort als Friseur gearbeitet. Weil das allein aber hier in Deutschland nicht als Qualifikation anerkannt wird, legte Milad Kakone los. Er lernte in Rekordzeit Deutsch (neben seiner Muttersprache Aramäisch, Arabisch, Kurdisch und Englisch die fünfte Sprache), machte eine duale Ausbildung zum Friseur, und noch bevor die Ergebnisse seiner Prüfungen (Note: 1,0) da waren, meldete er sich zum Meisterkurs an, den er nach sechs Monaten abschloss. Seitdem ist der Mann mit dem gewinnenden Lächeln Friseurmeister der Handwerkskammer zu Aachen.
Er hätte direkt danach auch in Belgien einen Friseursalon übernehmen können, aber weil er und seine Familie mittlerweile Anschluss in Weilerswist gefunden hatten, war für ihn klar, dass er nur dort sein eigenes Geschäft aufmachen würde. Das lag vor allem daran, dass die Kakones sofort den Kontakt zur katholischen Kirche in Weilerswist gesucht und gefunden hatten. „Wir waren jeden Sonntag im Gottesdienst, und ich habe anfangs in drei verschiedenen Kirchenchören gesungen. Das hat den Kontaktaufbau hier sehr erleichtert“, sagt Kakone. Mittlerweile ist der leitende Pfarrer, Georg Bartylla, Pate von seinem Sohn und gehört seitdem zur Familie. Kakones Mutter kocht in der katholischen Kita und hilft, die Kirche sauber zu halten. „Unser Glauben hat uns sehr geholfen, sowohl im Irak und während unserer Flucht als auch bei der Integration hier in Weilerswist. Wir haben dadurch viele wunderbare Menschen kennengelernt, die uns unglaublich unterstützt haben“, sagt der Friseurmeister.
Der Friseursalon mit Barbershop läuft gut. Als Erstes hat Milad Kakone natürlich seinen Vater angestellt. Inzwischen hat er weitere Mitarbeiter und eine Auszubildende, eine Muslima. Aufgrund seiner eigenen Geschichte ist dem Friseur eins besonders wichtig: „Es darf keine Rolle spielen, welchen Glauben wir haben. Es geht darum, einfach Mensch zu sein, menschlich, offen und herzlich miteinander umzugehen und jeden so zu respektieren, wie er ist.“