Karsamstag, 15. April
Am Samstagmorgen um 2:30 Uhr wurden wir geweckt. Ein orientierungsloses Gummiboot mit ungefähr 140 Menschen wurde gesichtet und weil wir am nächsten dran waren, wurden wir dorthin gerufen. Als wir gerade damit fertig waren, die Menschen auf unser Schiff zu evakuieren, wurden wir um 9:00 Uhr zu einem anderen Holzboot gesendet - vermutlich mit über 500 Menschen an Bord. Einige konnten wir evakuieren - vor allem alle Frauen, Kinder und Verletzte.
Währenddessen wurde immer mehr deutlich, dass viel mehr Menschen sich auf dieser gefährlichen Reise befanden und wir so ziemlich alleine auf dem Mittelmeer sind: acht Gummiboote und zwei hölzerne Boote mit mehr als 1500 Menschen und wir mittendrin mit einer überreizten Kapazität. Auf unsere Hilferufe hat sich keine staatliche Seite gemeldet. Verschiedene Schiffe waren unterwegs, aber keiner wollte in dieser Notsituation eingreifen. Wir haben stundenlang inmitten dieser vielen Boote und der verzweifelten Menschen ausgeharrt, sie mit Wasser und Rettungswesten versorgt und immer wieder die Verletzten aufs Schiff geholt. Gegen Nachmittag kamen Handelsschiffe und weitere NGOs, die unsere Hilferufe vernommen haben. Die Rettungsaktion hat letztendlich bis heute Morgen gedauert.
In der Nacht:
Für mich wird es in diesem Jahr keine Osternacht geben, aber ich hoffe auf einen Ostermorgen! Eine weitere Hilfsorganisation hat ein Boot gerettet, aber es warten noch an die 1000 Menschen auf Rettung. Wir erwarten ein Handelsschiff um eins - dann müssen wir weiter schauen und hoffen. Der Herr ist mit uns. Er ist treu! Daraus lebe ich!
Karfreitag, 14. April
Heute früh haben unsere Radare etwas Verdächtiges entdeckt. Als unser Rettungsboot dann letztlich das vollkommen überfüllte Gummiboot erreichte, waren schon die ersten im Wasser und drohten zu ertrinken. Nur dem schnellen Rettungsschwimmer Paul war es zu verdanken, dass bei dieser Rettung niemand gestorben ist. Die Gesichter der 134 Menschen, die gerettet wurden, kann man nicht so schnell vergessen: die panischen Gesichter derjenigen, die im Wasser zu ertrinken drohten; die vollkommen abwesenden Gesichter derjenigen, die von vielen Stunden auf dem Mittelmeer ohne Wasser und Nahrung traumatisiert waren; die frohen Gesichter derjenigen, die verstanden haben, dass sie nun gerettet sind.
Eine schwangere Frau, bei der das Geld nicht für die Überfahrt ihres Ehemannes ins "gelobte Land" gereicht hat, war genauso mit an Bord wie Alesain, ein junger Senegalese, der während der ganzen Rettung anderen geholfen hat, die Rettungswesten anzuziehen und zu übersetzen und darauf bestand, als Letzter das Gummiboot zu verlassen, um uns weiter vor Ort helfen zu können.
Heute Nachmittag kam dann direkt ein zweiter Einsatz. Wir haben weitere 140 Menschen gefunden, die vollkommen verloren auf dem Meer herumirrten. Es stank furchtbar nach Diesel auf diesem überfüllten Boot. Wir haben ihnen Rettungswesten gegeben und mit ihnen gewartet, bis die italienische Küstenwache sie an Bord holen konnte. Unsere 134 Flüchtlinge haben sie ebenfalls auf ihr Schiff geholt.
Jetzt feiern wir die Karfreitagsliturgie, während wir wieder Richtung Libyen zurückkehren!
Gründonnerstag, 13. April
Ich habe schon an vielen Orten und in vielen Ländern Gründonnerstag feiern dürfen. Doch in diesem Jahr war und ist alles anders. Wir waren den ganzen Tag unterwegs. Es gab immer wieder Meldungen und Sichtungen von Gummibooten - auf dem Meer treibend. Niemand war aber zu entdecken. Unsere Radare zeigten verdächtige Bewegungen an, aber da dies in den libyschen Gewässern vonstatten ging, mussten wir weiterhin in den internationalen Gewässern ausharren.
Gegen Nachmittag kam dann die Meldung: fast 100 Menschen kurz vor der libyschen Küste vermisst - was nichts anderes bedeutet als ertrunken! Die Stimmung auf dem Rettungsschiff war dementsprechend bedrückt: wir waren so nah und doch so hilflos.
Mit dieser Stimmung gingen wir in die Feier der Gründonnerstagsliturgie. Alle waren eingeladen mitzufeiern, aber natürlich alles freiwillig. Mich hat es schon überrascht und berührt, dass alle 24 Crew- und Rettungsteammitglieder geschlossen an der Liturgie teilnehmen wollten. Es war eine sehr dichte Stimmung und vor allem bei der Schweigeminute für die Opfer war diese nahezu greifbar. Bei der Fußwaschung habe ich drei Personen aus drei verschiedenen Ländern und verschiedenen Teams die Füße gewaschen. An dieser Stelle wurde mir deutlich: ja, hier gehöre ich hin. Die Einsetzung des Priestertums und die Einsetzung der Eucharistie - auf dem Rettungsschiff Phoenix neu entdeckt.